Zehntausende protestrieren – wofür genau? Gegen Rechtsextremismus? Gegen eine Migrationspolitik? Gegen die Union? Das sei lokal sehr unterschiedlich, sagt eine Protestforscherin – und prägend, wie die Demos weitergehen.
Protestforscherin Nina-Kathrin Wienkoop sieht Verbindungen zwischen den aktuellen Demonstrationen und den Protesten gegen Rechtsextremismus im vergangenen Jahr. “Letztes Jahr haben sich gesellschaftlich breite Bündnisse gebildet, die jetzt wieder mobilisieren”, sagte die Politikwissenschaftlerin am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Bei den Protesten nach den Medienberichten zu rassistischen Vertreibungsplänen im Januar 2024 seien viele Menschen auf die Straße gegangen, die vorher noch nie demonstriert hätten. Bei Protesten rund um die Europawahl im Juni habe es eine hohe Wiedermobilisierung dieser Menschen gegeben. Damit rechnet die Forscherin auch jetzt.
Seit Mittwochabend richten sich in vielen deutschen Städten Demonstrationen zumeist friedlich gegen einen Rechtsruck – angestoßen durch die gemeinsame Abstimmung von Union, FDP und AfD im Bundestag für eine schärfere Migrationspolitik. Bereits an den vergangenen Wochenenden demonstrierten Menschen in dutzenden Städten gegen Rechtsextremismus, Ausgrenzung und Hass.
“Aktuell ist die interessante Frage, ob im konservativ-bürgerlichen Lager Demoaufrufe fruchten”, so Wienkoop. Kritik der ehemaligen CDU-Kanzlerin Angela Merkel am Kurs ihrer Partei beispielsweise spreche dafür, dass nicht alle konservativ-bürgerlich Wählenden den aktuellen politischen Kurs unterstützten. Gleichzeitig sei bereits bei den Demos im vergangenen Jahr auffällig gewesen: Obwohl in einigen Städten die CDU mit zu den Protesten aufrief, habe sie ihre Anhänger nicht so stark mobilisiert. Einen möglichen Grund dafür vermutet die Wissenschaftlerin in der teils unklaren Abgrenzung, ob sich Proteste gegen Rechts oder Rechtsextremismus richteten.
Wer jetzt angesprochen werden kann, hängt nach Ansicht der Forscherin auch davon ab, ob sich Demos beispielsweise gegen Rechtsextremismus oder gegen die CDU richten. Im vergangenen Jahr wie auch jetzt sei es lokal sehr unterschiedlich, wer wie dazu aufrufe. Um Massen auf die Straße zu bekommen, brauche es eine gewisse Klarheit, wofür eine Demo steht. Gleichzeitig sei es aber auch normal, dass Rednerinnen und Redner wie auch Teilnehmende ein Meinungsspektrum abbildeten, in dem nicht jeder mit allen Positionen einverstanden sei.
Ungewöhnlich ist aus Sicht von Wienkoop, dass nicht nur in größeren Städten demonstriert wurde und wird, sondern auch in kleinen Orten. “Dort kann man nicht anonym protestieren, setzt also ein noch deutlicheres Statement, weil sich jeder kennt.”