Zwischen Kuss und Kuss können Welten liegen. „Ein Kuss ist ein oraler Körperkontakt mit einer Person oder einem Gegenstand.“ So nüchtern definiert Wikipedia die Geste, die zu den ausdrucksstärksten menschlichen Äußerungen gehört. Am Valentinstag dürfte der Kuss zwischen Liebenden im Mittelpunkt stehen. Doch gibt es noch sehr viel mehr Möglichkeiten.
30 Gesichtsmuskeln kann ein Kuss bewegen
Es gibt den Friedenskuss, den politischen Bruderkuss, den erotischen Kuss, den zärtlichen Elternkuss – aber auch den Handkuss und den per Hand zugeworfenen Luftkuss. Gerade wegen dieser starken Symbolik kann der Kuss auch Inbegriff des Verrats werden, etwa der Judas-Kuss.
Der Kuss ist eine universale Geste, die über das Menschsein hinausgeht: Nach Ansicht des Verhaltensforschers Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat das gegenseitige Berühren der Lippen seinen Ursprung in der Nachwuchspflege von Menschen und Tieren. Aus dieser friedvollen Eltern-Kind-Geste habe er sich zu einem „Zärtlichkeits- und Befriedungsritus“ entwickelt. „Die Wurzel des Kusses ist der Sex“, argumentiert dagegen die Bremer Sexualwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld. So „erschnüffelten“ Männer, ob eine Frau ihren Eisprung habe.
Stürmisch oder zögerlich: Jeder küsst anders. Obwohl nach Schätzungen von Wissenschaftlern zwei Drittel aller Menschen beim Küssen ihren Kopf nach rechts drehen. Bei einem hingebungsvollen Kuss sind mehr als 30 Gesichtsmuskeln in Bewegung, haben Mediziner herausgefunden. Adrenalin und Glückshormone werden ausgeschüttet. Allerdings auch Bakterien. Küssen stärkt aber zugleich das Immunsystem und schränkt die Produktion von Stresshormonen ein. Der laut Guinness-Buch der Rekorde längste Kuss der Welt fand vom 6. Juli zum 7. Juli 2005 in London statt und dauerte 31 Stunden, 30 Minuten und 30 Sekunden.
Platon glaubte, dass sich bei einem Kuss von Mund zu Mund die Seelen berühren. „Um eine Liebe, in der nicht mehr geküsst wird, steht es nicht gut“, schreibt der französische Philosoph Alexandre Lacroix. Im Mittelalter hatte der Kuss auch rechtliche Bedeutung: Er besiegelte einen Vertrag – was sich noch heute im Verlobungs- oder Brautkuss widerspiegelt.
Geküsst wird rund um den Globus. In Westeuropa und Nordamerika gilt es nicht mehr als anstößig, sich öffentlich zu küssen. Die westliche Kusskultur des 20. Jahrhunderts ist stark vom Kino geprägt. Noch in den 1930er Jahren gab es in Hollywood einen Verhaltenskodex, der in Filmszenen „lustvolle Umarmungen“ und „ausgedehnte und wollüstige Kussszenen“ verbot. Dennoch galten die Küsse zwischen Vivien Leigh und Clark Gable in „Vom Winde verweht“ oder von Deborah Kerr und Burt Lancaster in „Verdammt in alle Ewigkeit“ lange als erotischste Küsse aller Zeiten.
Küsse symbolisieren auch Verehrung und Respekt. Der soziale Wange-an-Wange-Kuss sei in den letzten Jahren mit großem Erfolg aus Frankreich ins restliche Europa exportiert worden, schreibt die britische Soziologin Adrianne Blue in ihrem Buch „Vom Küssen oder Warum wir nicht voneinander lassen können“. In südlichen Ländern ist es üblich, Familienmitglieder und Freunde mit (angedeuteten) Küsschen auf die Wangen zu begrüßen.
Der Kuss kann auch ein Herrschaftssymbol sein: Mit dem Fuß-Kuss verlangten Kaiser und Päpste Unterwerfung. Der Bruderkuss ist eigentlich ein Symbol der Gleichheit. Doch als Russlands Parteichef Michail Gorbatschow 1989 SED-Generalsekretär Erich Honecker zum 40. Geburtstag der DDR die Wange entgegenhielt, war der Machtkampf zwischen beiden längst entschieden.