Verfilmung von Karsten Dusses Kult-Krimireihe. Schwarzhumorig und unterhaltsam wird der Trend zur Achtsamkeit auf die Schippe genommen. Allerdings stören der Hang zum Chauvinismus und die eher schwachen Frauencharaktere.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Serien-Adaption einer Krimi-Romanreihe, in der sich ein frisch in der Achtsamkeits-Meditation geschulter Anwalt seines kriminellen Hauptklienten entledigt und damit eine Kaskade neuer Probleme lostritt. So muss er das Weiterleben des Mafia-Oberhaupts vortäuschen, um nicht selbst über die Klinge zu springen. Aber auch dabei hilft ihm das Prinzip der Achtsamkeit weiter. Schwarzhumorig und unterhaltsam werden gesellschaftliche Phänomene wie Hipster-Kindergärten und Esoterik-Trips auf die Schippe genommen, während die trefflich besetzte Hauptfigur in der Krimi-Schiene spannend den Simulationsmodus hochschaltet. Aufwändig inszeniert, irritiert die Serie allerdings mit schwachen Frauencharakteren und Scherzen auf Kosten von Randgruppen.
Manchmal wird es einfach zu viel: Der Aufstiegs-Druck in der Kanzlei, die maulende Ehefrau zuhause, und dann auch noch die schlagkräftige Mafia-Klientel beständig im Nacken – oder besser auf dem Handy. Die Work-Life-Balance von Rechtsanwalt Björn Diemel (Tom Schilling) ist längst aus dem Tritt geraten, einziger Lichtblick: seine vierjährige Tochter Emily.
Der Burn-Out klopft schon an die Tür, da bekommt Björn von seiner Frau Katharina ein Achtsamkeitsseminar ans Herz gelegt. Von da an heißt es Ein- und Ausatmen, wenn in der Kanzlei mal wieder jemand anderes zum Partner gemacht wird, wenn die Empfangssekretärin eine ihrer frustrierten Spitzen abfeuert oder die kriminellen Klienten anrufen – Zeitinseln statt Stress-Peaks. Außerdem zieht Björn erst einmal aus der modernen Familienvilla ins Luxushotel – auf Zeit versteht sich, aber zur Entspannung aller.
Die erste Zeitinsel ist das gemeinsame Wochenende mit der kleinen Emily – ausgerechnet im luxuriösen Ferienhaus von Björns anstrengendstem Klienten, dem Mafia-Boss Dragan. Der hat gerade die rechte Hand von Boris, Dragans größtem Konkurrenten auf dem Berliner Drogen-, Prostitutions- und Waffenmarkt, auf einem öffentlichen Parkplatz in Brand gesteckt und totgeschlagen. Und das direkt neben einem zufällig dort geparkten Schulbus, aus dem dutzende Handykameras auf ihn gerichtet waren.
Dieser Umstand schreit nicht nach Achtsamkeit, sondern nach Aktion: Dragan muss untertauchen. Björn soll helfen. Also packt Björn den Mafia-Boss auf der Fahrt zum Ferienhaus aus Schmuggelzwecken in den Kofferraum – und packt ihn nicht mehr aus.
So weit darf der erste Mord durch Unterlassung gleich in der ersten Folge der Netflix-Serie “Achtsam Morden” verraten werden: Während Vater und Tochter im angrenzenden See vor Dragans Strandhaus tollen, schmort der Eigentümer bei brütender Hitze unter dem gleißenden Kofferraumdeckel. Doch dass der Brei meist nicht so heiß gegessen wie gekocht wird, ist in diesem Fall nicht ganz richtig. Schließlich fangen Björns Probleme mit Dragans Tod erst an.
Wer nun eine deutsche Selbstjustiz-Variation von “Dexter” mit einem achtsam mordenden Serienkiller-Anwalt erwartet, wird zunächst enttäuscht sein. Björn ist kein Psychopath wie Dexter und hat erst einmal alle Hände voll zu tun, das Verschwinden seines ersten Opfers zu vertuschen und für alle, die an Dragan herankommen wollen, in den Simulationsmodus zu schalten: Für Mafia-Handlanger inklusive Verräter in den eigenen Reihen, für Dragans größten Konkurrenten Boris und für die Kripo-Kommissarin Nicole Egman, mit der Björn einst die Schulbank und wahrscheinlich noch etwas mehr teilte – was von der langsam wieder auftauenden Katharina argwöhnisch beobachtet wird.
Stilecht und spannend ist die international ausgerichtete Serien-Adaption der erfolgreichen Krimiroman-Reihe von Autor und Anwalt Karsten Dusse in jedem Fall geraten. Da erscheint in größter Not der Achtsamkeits-Coach (großartig in sich ruhend: Peter Jordan) in seinen salbungsvoll-beigen Therapieräumen vor Björns innerem Auge. Mit Innehalten, Durchatmen und Neujustierung lotst er seinen Schützling durch jede noch so brenzlige Hochdrucksituation. I
In den sich zuspitzenden Gewaltszenen mutet das nicht nur amüsant, sondern geradezu erholsam an. Ergänzt wird das Ensemble auf der anderen Seite von einer herrlich durchdrehenden Gangster-Entourage, die wie eine rasende Medusa überall um Björn ihre Testosteron-gespeisten Tentakel peitschen lässt.
Anwälte, ohnehin nicht die beliebteste Berufsgruppe, stehen oft im Verdacht, die kriminellen Mauscheleien ihrer Klienten in halbwegs legale, aber moralisch fragwürdige Bahnen zu lenken. In “Achtsam Morden” findet dieser schlechte Ruf eine schwarzhumorige Ausgestaltung und in Tom Schilling eine sich herrlich hemdsärmelig mit kleinen Muskeln, aber großer Klappe durchschlagende Verkörperung, irgendwo zwischen “American Psycho” und “Better Call Saul”.
Wenn dann auch noch heiß begehrte Mangelware wie Berliner Kindergartenplätze zur ertragreichen Beschwichtigungswährung werden, gelingt “Achtsam Morden” durchaus elegant der Übergang zur Gesellschaftssatire, die einen fast darüber hinwegsehen lässt, mit wie viel Willen zum Klischee und auf Kosten welcher “Randgruppen” hier eigentlich Humor erzeugt wird: Während muskelbepackte Macho-Figuren wie Handlanger Sascha oder Mafia-Boss Boris, der seine untreue Geliebte einst enthaupten und an Dragans Tür nageln ließ, einer fast schon glorifizierenden Coolness-Kur unterzogen werden, fungieren die (bald geschassten) Hipster-Erzieher eines Prenzlberg-Vorzeige-Kindergartens als abgestandene Witzfiguren – genauso wie die Frauen, die entweder als meckernde Angetraute, als alte frustrierte Sekretärinnenschachtel, als treudoofe Kollegin oder als schnell zu verunsichernde Kripo-Beamtin auflaufen dürfen.
Auch wenn die Ermittlerin, anders als in Dusses Roman, immerhin von einer Frau verkörpert wird. Keine einzige ernstzunehmende Vertreterin bekommt dieses Frauen-Ensemble zur Seite gestellt, die Björns oftmals patriarchal herablassendem Verhalten etwas entgegenzusetzen hätte.
Kurz: Dass “Achtsam Morden” gesellschaftliche Wohlstandsauswüchse wie Öko-Kindergärten und Esoterik-Trips auf die Schippe zu nehmen weiß, bewahrt die Serie nicht davor, selbst in Sachen Frauenzeichnung in eine der ältesten Unarten zu tapsen: den Chauvinismus.