Nach den jüngsten Missbrauchsenthüllungen tritt der Interims-Abt von Saint-Maurice nach nur zwei Monaten zurück. Das Kapitel von Saint-Maurice bat den Vatikan um Entsendung eines Verwalters (“Apostolischen Administrators”), der das Kloster im Übergang leiten soll, wie am Donnerstagnachmittag bei einer Pressekonferenz der Abtei mitgeteilt wurde. Die Abtei Saint-Maurice untersteht nicht dem Bischof von Sitten, sondern direkt dem Vatikan.
Roland Jaquenoud war erst im September auf Abt Jean Cesar Scarcella gefolgt, der sein Amt wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung ruhen lassen musste. Jaquenoud soll 2003 einen ihm untergebenen Novizen zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben, hieß es nun.
Das Portal kath.ch berichtet, andere Novizen, die von dem damaligen Vorfall Kenntnis hatten, hätten den Vatikan darüber informiert. Dieser habe einen Abt aus Frankreich entsandt, um der Sache nachzugehen. Danach habe der Vatikan Druck ausgeübt, um den Fall weiter aufzuklären.
Die Abtei entsandte Jaquenoud laut kath.ch 2004 in die Mission nach Kasachstan. Trotz seiner Vorgeschichte sei er 2015 nach Saint-Maurice zurückgekehrt und Prior geworden. Im September 2023 übernahm er übergangsweise die Leitung der Abtei. Laut Recherchen des Westschweizer Fernsehens RTS gibt es Missbrauchsvorwürfe gegen insgesamt neun Augustiner-Chorherren von Saint-Maurice; fünf von ihnen lebten noch. Der Konvent mit seinen gut 30 verbliebenen Patres ist stark überaltert.
Saint-Maurice gilt als ältestes Kloster des Abendlandes, das ohne Unterbrechung besteht. Es beherbergt einen der reichsten Kirchenschätze Europas. 2014/2015 feierte die Abtei ihr 1.500-jähriges Bestehen. Ihre Ursprünge gehen auf das legendäre Grab des heiligen Mauritius (Moritz) und seiner Gefährten zurück. Mitglieder der Thebäischen Legion sollen Ende des 3. Jahrhunderts an verschiedenen Orten als Märtyrerchristen gestorben sein, so auch in Köln, Bonn und Xanten.
Gegründet wurde das Kloster 515 durch den heiligen Sigismund, den späteren König von Burgund. Später, im 9. Jahrhundert, wurden die Mönche durch Chorherren ersetzt. 1128 übernahmen diese die Augustinusregel. Die Abtei gehört keiner Diözese an; sie genießt den Status einer sogenannten Territorialabtei. Ihr Abt ist geborenes Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz.
Die Abtei überstand die Reformation, die Französische Revolution und einen Religionskrieg in der Schweiz – die allesamt zur Schließung vieler Klöster führten. Sie steht an einer zentralen Stelle auf dem Weg von Nordeuropa über den Großen Sankt Bernhard nach Rom.