Lübeck. Die virtuelle Fastengruppe von Anne Mareike Müller startet genauso wie die meisten Videokonferenzen in diesen Tagen: holprig. „Hört man mich?“, fragt die Pastorin der Lübecker Bugenhagen-Gemeinde und linst auf den Bildschirm. „Nö, das Tonsignal klemmt“, ruft es aus dem Chat. Auch wenn Gottes Hand hier nicht im Spiel ist, wird an diesem Abend klar: Erst kommt die Technik, dann kommt das Fasten.
Insgesamt elf Fastenfreunde aus den Kirchengemeiden St. Markus, St. Lorenz, der Paul-Gerhardt-, der Bodelschwingh- sowie der Bugenhagen-Gemeinde haben sich zusammengeschaltet, um sich durch die Passionszeit zu lotsen. Bis Ostern treffen sich die Teilnehmer dazu einmal in der Woche in der Videokonferenz – wie so manche Gemeindeglieder im Norden.
Niemand wird gezwungen
Die Corona-Pandemie fordert inzwischen schon seit einem Jahr Rücksicht und Bescheidenheit. Also, wie ist das: Wollen da nicht doch viele lieber aufs Verzichten verzichten? „Die kommenden Wochen sind eine Einladung, anders zu leben“, sagt Pastorin Anne Mareike Müller. „Niemand zwingt uns, zu entbehren und zu darben.“
Vielmehr gehe es um die Neugier auf ein Leben, das hinter veränderten Gewohnheiten wartet, und um die Dinge, die frei werden, wenn man Routinen aufgibt. Sie selbst wolle auf Süßigkeiten verzichten, ihre große Schwäche. „Mein Mann und ich haben gestern noch alles plattgemacht“, sagt die Pastorin und lacht. „Ab heute ist Schluss mit dem Naschen.“ Auch in der Gruppe geht es um Alltägliches. Einige wollen auf Fleisch, auf Fastfood, auf zu viel Wein verzichten. Viele möchten entschleunigen und so mehr auf sich achten.
Müller mahnt, nicht allzu streng mit sich zu sein: „Beim Fasten kann man ganz schnell grantig werden und sich und anderen das Leben vermiesen.“ Es gehe um die richtige Balance zwischen dem Verzicht und darum, gnädig auf das zu schauen, was nicht geklappt hat. „Mit Gottes Augen sehe ich ohnehin nur die Fülle“, weiß die Pastorin.
Nicht übertreiben mit dem Perfektionismus!
Neben veränderten Essgewohnheiten wollen sich viele auch mit ihren inneren Einstellungen konfrontieren. Ängste, Unsicherheiten und übertriebener Perfektionismus sollen abgelegt werden. Fasten sei ein bisschen wie der jährliche Frühjahrsputz. Es gelte, aufzuräumen bei den Dingen, die einem wichtig und nicht so wichtig seien, so Müller.
Die Pastorin hat zu ihrem ersten virtuellen Gemeindetreffen geladen. Sie bleibt thematisch offen, will nichts vorgeben. „Man muss virtuelle Treffen besser vorbereiten und auf die Zeit achten, denn bei vielen ist die Aufmerksamkeitsspanne geringer. Außerdem hat man weniger Raum für Spontaneität.“
Über die Monitore in die Herzen geblickt
Hier lassen sich viele der Teilnehmer über die Monitore in ihr Herz blicken. Es gelte, den Entdeckergeist hinter dem Bedenkenträger hervorzulocken, die Leichtigkeit des Seins hinter den Verpflichtungen des Alltags. Einfach mal das Gedankenkarussell anhalten, kreativ sein anstatt effizient. Und endlich mal wieder gemeinsam singen, endlich die gekannte Normalität zurück. Das wünschen sich alle nach einem Jahr Corona-Tristesse und freuen sich auf ein Leben ohne Maske. Diese Freude ist ansteckend. Gemeinsam verzichten kann also auch richtig Spaß machen.