In “A Different Man” tauscht ein Schauspieler wie durch ein Wunder sein von Wucherungen entstelltes Gesicht gegen ein neues und hofft, damit auch ein anderes Leben beginnen zu können.
Edward (Sebastian Stan) sieht sein eigenes Leben auf der Bühne. Es ist ein Theaterstück geworden, geschrieben von Ingrid (Renate Reinsve), seiner ehemaligen Nachbarin und heutigen Geliebten. Edward heißt mittlerweile Guy und ist von der Neurofibromatose geheilt. Das von dieser Erbkrankheit früher entstellte Gesicht hat sich in einer Body-Horror-artigen Transformation mit gutem Ausgang Stück für Stück selbst abgeschält oder abschälen lassen. Ein neues, vielleicht sogar attraktives Gesicht ist geblieben. Edward aber ist gestorben. Guy hat ihn und damit sein altes Leben beerdigt.
Ein Leben, das für den Protagonisten erst einmal kaum zu fassen ist. Beim ersten Barbesuch mit neuem Gesicht wird er von Betrunkenen in ihrer Mitte aufgenommen. Eine der Barbesucherinnen macht ihm schöne Augen. Er hat Sex, bald dazu noch Freunde und eine Karriere – das Leben, nach dem er sich immer gesehnt hat.
Was er zurückgelassen hat, ist nun ein Kunstwerk geworden, ein Off-Broadway-Theaterstück. Als er seinen alten Namen auf dem Plakat sieht, platzt er kurzerhand in das Casting hinein, wobei er einen Abdruck seines alten Gesichts als Maske trägt. “I was born for this role”, erklärt er der ehemaligen Nachbarin Ingrid, die als Autorin und Regisseurin die Hauptrolle besetzt. Guy bekommt die Rolle und wird kurz darauf von Ingrid, die ihn noch vor wenigen Monate zurückwies, verführt.
Natürlich hält der Filmemacher Aaron Schimberg manches “Aber” für sein märchenhaft-komisches Drama bereit. Überhaupt ist das erzählerische “Aber” die Grundlage von “A Different Man”, der nach und nach alle diskursiven und persönlichen Facetten der Idee von Identität durchdekliniert, um das Ergebnis aufs Neue infrage zu stellen. Der dazugehörige Kern ist das Theaterstück: eine Bühnenversion von Edwards altem Leben. Für die Bühne wird aus dem Mitesser, den Ingrid Edward einst ausdrücken wollte, eine Wimper, und aus der Abweisung, die Edward für den Kuss erfuhr, den er ihr kurz darauf geben wollte, tatsächliche Zuneigung.
Das alles ist ein bisschen hübscher, ein bisschen netter und ein bisschen weniger wie Edwards einstiges Leben. Trotzdem soll er nach seinem Casting-Auftritt sein früheres Selbst, also Edward, spielen. Für das Stück trägt er die alte Identität als Maske. Einen Anspruch auf die dazugehörigen Wahrheiten und Affekte hat Guy aber nicht mehr. “It’s my creation”, sagt ihm Ingrid, als er Details des Charakters anzufechten versucht. Sie kenne Edward besser und überhaupt: Woher solle er schon wissen, wie sich ein solches Leben anfühlt.
Der Mann, der kurz darauf zu den Theaterproben stößt, weiß es umso besser. Oswald (Adam Pearson) hat wie einst Edward Neurofibromatose und kann damit ebenfalls, wenngleich auf gänzlich andere Art, behaupten, er sei für die Rolle geboren. Anders als Edward es war, ist Oswald jedoch nicht von seinem Äußeren gelähmt. Er lebt sein Leben, singt, lacht, schauspielert, heiratet, hat Kinder, lässt sich scheiden, hat Sex, Freunde und ein großes Herz für sein Umfeld und auch für Edward, der jetzt Guy ist. Kurzum: Er hat alles, was Edward nie hatte. Bald darauf ergattert er sogar die Hauptrolle, die eigentlich fest auf Guy gebucht war.
Auf die denkbar netteste und damit schmerzhafteste Art drückt der Film dem Protagonisten die eigenen Verfehlungen ins magisch verwandelte Gesicht und hält ihm im Nachgang das Leben vor, das auch mit entstelltem Äußeren möglich gewesen wäre. Oder auch nicht. Denn auch hier setzt der Film ein “Aber” dagegen. Irgendwie ist jeder und doch keiner von beiden für diese Rolle geboren.
Schimberg spielt mit der Bürde und der Schönheit des Andersseins, dem Schmerz wie der “Normalität”. Allerlei Schicksal also, das sich in “A Different Man” fröhlich mit sozialen Gegebenheiten, mit Selbstoptimierung und den Ansprüchen der anderen mischt. Kurzum: Alles ist kompliziert, alles gerät durcheinander.
Die große Stärke von “A Different Man” besteht jedoch nicht darin, die dazugehörigen Fragen zu formulieren und immer neue Probleme in den Raum zu stellen, sondern die dazu passende ästhetische Vielseitigkeit zu entwickeln. Unterschiedliche Register, mal der Slapstick, mal der New-York-Blues, bekommen im eigentlich tragischen Schicksal des Protagonisten Raum. Mitunter scheint das fast ein bisschen viel, und man fürchtet fast, dass der “echte” Edward/Guy darüber verloren ginge, der nicht nur zur Punchline des Stückes, sondern auch des Films zu werden droht. Doch nur bis zum nächsten “Aber”.