Das kleine Radiogerät, das NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. August 1933 auf der Berliner Funkausstellung vorstellte, sollte Geschichte schreiben: Der „Volksempfänger“ VE 301 kostete 76 Reichsmark, das war nur ein Drittel des Preises, der damals für ein Radiogerät üblich war. Die Rundfunkfirmen waren zu kostengünstigen Serienfertigungen gezwungen worden. Mit Plakaten warben die Händler: „Ganz Deutschland hört den Führer mit dem Volksempfänger.“ Bis Ende des Jahres 1933 wurden fast 700.000 VE 301 verkauft.
Seit Ende Januar 1933 war Hitler Reichskanzler, Goebbels übernahm im März das neu geschaffene Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Zu den Intendanten der Reichsrundfunkgesellschaft sagte er: „Der Rundfunk gehört uns! Niemandem sonst. Und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen. Und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.“
Unterhaltungs-Propaganda
Der Propagandaminister bezog ein Büro im Haus des Rundfunks in der Masurenallee in Berlin. Binnen weniger Wochen hatte er in seinem neuen Amt den Rundfunk neu organisiert: Missliebige Verantwortliche wurden in das Konzentrationslager Oranienburg gebracht, alle Intendanten der „Reichssender“ bis auf einen durch Gefolgsleute ausgewechselt.
Doch bald merkte der nationalsozialistische Chefpropagandist, dass das wortlastige Programm, das er zunächst organisiert hatte, beim Volk nicht recht verfing. Schon ab 1935 ging es daher „primär nicht um Propaganda, sondern um die Inszenierungen, die Optimierung der Radio-Show“, sagt der Medienhistoriker Clemens Zimmermann, Professor an der Universität des Saarlandes. Goebbels gab die Devise aus: „Nur nicht langweilen“.
Im November 1934 wurde erstmals der „Frohe Samstagnachmittag“ aus Köln gesendet, ein Programm mit viel Musik und lustigen Sketchen. Bald habe der Musikanteil im Radio zwischen 70 und 80 Prozent betragen, erklärt Zimmermann. In Unterhaltungssendungen wie dem „Wunschkonzert“ wurde eine „Volksgemeinschaft“ inszeniert, wie sie der Nazi-Propanda entsprach.
Der Volksempfänger sei mehr gewesen als ein leistungsfähiges und für breite Mittelschichten erschwingliches Gerät, sagt Zimmermann. Der Kasten aus Bakelit sei häufig auf einem erhöhten Platz im Wohnzimmer präsentiert worden. Daran zeige sich, wie stark das Medium in die Familie integriert worden sei: „Die Grenze zwischen ‘privat’ und ‘öffentlich’ begann sich aufzulösen.“ Als „jüdisch“ klassifizierte Haushalte allerdings mussten ab 1939 ihre Radioapparate ausliefern.
Was die Verbreitung anging, war der Volksempfänger ein Erfolg. Gab es 1933 nur in einem Viertel der deutschen Haushalte ein Radiogerät, so waren 1941 fast zwei Drittel damit ausgestattet. Bis zuletzt dienten die Volksempfänger und das Radioprogramm als Taktgeber im Alltag.
Heimlich unter der Bettdecke
Nach Kriegsbeginn mussten die Deutschen aber auf liebgewordene Unterhaltungssendungen verzichten: Hatte es vorher zwei Programme gegeben, so sendete nun meist nur noch eines. Auch „Der frohe Samstagnachmittag“ wurde 1939 eingestellt. So verlor das Radio, das sich rasch zum wichtigsten alltäglichen Unterhaltungsmedium entwickelt hatte, einen Teil seiner Faszination.
Auslandssender – aus Sicht des NS-Staats „Feindsender“ – einzuschalten, war ab 1939 streng verboten. „Die furchtbaren Juristen des ‘Dritten Reichs’ prägten hier bei ertapptem Zuwiderhandeln den Begriff des Rundfunkverbrechers“, sagt Medienhistoriker Zimmermann. Es drohten harte Strafen. „Man schaltete zu Hause vorsichtshalber den Lautsprecher leise oder steckte den Kopf und das Gerät unter eine Decke“, beschreibt Zimmermann. Vorsicht sei selbst gegenüber Angehörigen und vor allem gegenüber den Nachbarn angebracht gewesen.
Das Ende des Volksempfängers
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, im Mai 1945, übernahmen die Alliierten nach und nach die Rundfunksender in Berlin, Hamburg und anderen Städten. Am 8. Mai 1945 verbot die amerikanische Militärregierung deutsche Rundfunksendungen. Am selben Tag wurden Rundfunkansprachen der Staatschefs der USA, Großbritanniens und Frankreichs, Harry S. Truman, Winston Churchill und Charles de Gaulle, übertragen.
In den folgenden Jahren bauten die Alliierten einen staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland auf. Ab 1950 wurden die ersten Radioprogramme über die neue Ultrakurzwelle (UKW) verbreitet. Der Volksempfänger, der diesen Standard nicht empfangen konnte, war damit Geschichte.