Von Markus Dröge
In Leipzig demonstrierten am Abend des 9. Oktober 1989 Zehntausende Menschen in der Innenstadt mit einer Lichterkette für Freiheit und Demokratie. In Berlin-Prenzlauer Berg wurde die Gethsemane-Kirche zu einem der wichtigsten Anlaufpunkte der DDR-Opposition. Hier gab es ab Anfang Oktober Mahnwachen für die Frauen und Männer, die am DDR-Staatsfeiertag nicht mitgejubelt, sondern demonstriert hatten und dann verhaftet und in die Gefängnisse der Volkspolizei und der Staatssicherheit gebracht wurden. In der Gethsemanegemeinde kamen täglich Hunderte Menschen zusammen. Sie tauschen in einer Zeit ohne Handy und Internet Informationen über das aus, was sie über die Festgenommenen gehört hatten und wie in anderen Städten auf die Demonstrationen reagiert worden ist. Und sie hielten jeden Abend Fürbittenandachten. In vielen Fenstern in der Nachbarschaft brannten Kerzen als Zeichen der Solidarität.Das sind Ereignisse und Bilder, die man nicht vergisst, selbst wenn viele von uns sie nur aus der medialen Berichterstattung rund um die Gedenktage kennen. Wir sind dankbar, dass Christinnen und Christen damals couragiert für sich selbst und für die Freiheit und Würde aller Bürgerinnen und Bürger eintraten. Der DDR-Staat versuchte mit allen Mitteln sie einzuschüchtern. Doch sie gingen weiter beharrlich auf die Straße. Auf Freiheitsentzug und Gewalt reagierten sie mit friedlichem Protest, machten Gebete und Kerzen und den Ruf „Keine Gewalt“ zu ihren Werkzeugen des Widerstandes.
Das Beharren auf einem gewaltfreien Widerstand ermöglichte den gesellschaftlichen Wandel und den Zusammenbruch eines Staatssystems. Diese friedliche Botschaft im Sinne der Bergpredigt („Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“, Matthäus 5,9) entfaltet bis heute eine bewundernswerte Kraft, die weit über die ereignisreichen Tage im Herbst 1989 hinausgeht. Sie dient als „Blaupause“ für Menschen jeder Weltanschauung, die in anderen Ländern der Welt unter staatlicher Repression leiden. Sie verbreitet Hoffnung. Zur Verarbeitung der Vergangenheit gehört es aber auch, dass wir unverheilte Wunden in den Blick nehmen. Denn die Zeit heilt bekanntlich nicht alle Wunden. Diesem Prozess wird gerade in diesem Jahr viel Platz eingeräumt werden. Die evangelische Kirche bietet dafür Räume des Erzählens und Zuhörens an, damit Menschen von ihren persönlichen Erfahrungen in dieser Zeit und in den Jahren danach berichten können. In einer Atmosphäre der Wertschätzung wird es möglich sein, sich von den Erlebnissen, den Wünschen, Hoffnungen und Enttäuschungen nach dem Mauerfall zu erzählen und so einander besser zu verstehen. Durch die Landeskirche wandert ein runder Tisch, an dem an verschiedenen Orten das Gespräch geführt werden kann.