Das Buch löste bei seinem Erscheinen vor 50 Jahren großes Aufsehen aus und gilt bis heute als aufrüttelnd: 1975 veröffentlichte der Soziologe Helmut Schelsky (1912-1984) „Die Arbeit tun die anderen – Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen“. In der Bonner Republik wurden Schelskys politisch kontroverse Standpunkte nicht nur in Wissenschaft und Medien, sondern auch im politischen Raum aufgegriffen und fanden vereinzelt Eingang in Debatten innerhalb des Bundestags. Heute finden dessen zentrale Thesen vor allem bei libertären Thinktanks Resonanz, insbesondere seine Kritik an der gesellschaftlichen Rolle der Intellektuellen.
Der in Chemnitz geborene Schelsky und spätere Professor an der Uni Münster war einer der einflussreichsten, aber auch umstrittensten deutschen Soziologen der Nachkriegszeit. Bekannt wurde der politische Publizist und Wissenschaftspolitiker, der auch maßgeblich an der Gründung der Universität Bielefeld beteiligt war, durch familien- und rechtssoziologische Schriften. Der „Anti-Soziologe“, wie er sich immer häufiger selbst nannte, grenzte sich gegen die politisch linksorientierte „Frankfurter Schule“ ab.
„Schelskys konservativer Grundton und seine NSDAP-Mitgliedschaft begleiten sein Werk bis heute kritisch: Zwar suchte er nach dem Krieg die Nähe zu Sozialdemokratie und Gewerkschaften, doch verschärfte sich sein Anti-Intellektualismus im Zuge der 68er-Bewegung, und die Distanz zu linken Theorien und zum Wohlfahrtsstaat nahm zu“, erklärte die Technische Universität Chemnitz zu Schelskys 100. Geburtstag im Jahr 2012.
Als Helmut Schelsky 1975 seine 375-seitige Zeitdiagnose „Die Arbeit tun die anderen“ vorlegte, attestierte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ dem streitbaren Soziologen aus Münster eine scharfe Abrechnung mit der Rolle der Intellektuellen im Staat. Schelsky zufolge sind diese zu einer neuen sozialen Herrschaftsgruppe geworden, die durch ihre Deutungsmacht Einfluss auf Politik, Medien und Bildung ausübt.
Während sie früher als Vermittler galten, sieht Schelsky sie als Teil einer „Priesterkaste“. Eine neue Klasse – quasi-religiöser – „Sinn-Vermittler“ und „Heilslehrer“ befinde sich im Klassengegensatz zu all denen, „die der Produktion von Gütern im Sinne der Lebensbefriedigung, des Wohlstandes und des Funktionierens eines gesellschaftlichen Systems dienen“ – also etwa denen, die Brötchen backen und die Autos bauen.
Der Trierer Soziologe Michael Jäckel erläutert, dass Schelsky sein Buch nicht als rein wissenschaftliches Werk verstand. Er selbst habe von einem Pessimismus angesichts eines „wachsenden Widerstandswillens gegen Ungerechtigkeiten und Unsinnigkeiten“ gesprochen, der eben auch die „emotionelle Überzogenheit“ des Textes erkläre.
Das Werk entstand laut Jäckel vielleicht nicht zufällig zu einer Zeit, die von einer Expansion des Bildungs- und Hochschulwesens bestimmt war und in der eine Vielzahl politischer Kontroversen auf nationaler – etwa die Sorge um die Verfassungstreue von Bewerbern für den Öffentlichen Dienst – und internationaler Ebene spaltend wirkte. Bereits die im selben Jahr erschienene zweite Auflage enthielt ein Nachwort von rund 60 Seiten. „Das mag zusätzlich verdeutlichen, wie aufgeladen diese Debatte war“, sagte der Professor für Soziologie an der Universität Trier dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Gleich nach Erscheinen meldete sich damals Ludwig von Friedeburg (1924-2010) zu Wort – Bildungspolitiker, hessischer SPD-Kultusminister und Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Er sah in Schelskys Werk den Versuch einer konservativen Gegenoffensive gegen die sozialliberale Reformwelle. Friedeburg warf Schelsky vor, die gesellschaftliche Rolle der Intellektuellen und der Linken grob zu vereinfachen und zu verzerren.
Schelsky, erläutert Jäckel, wollte mit seinem Werk insbesondere auf die „Überbetonung des Sozialen und die Zurückdrängung des Individuellen“ hinweisen: Ein „aufgedrungenes Sozialbewusstsein“ war für ihn danach kein Pfad zu einer „vollkommeneren Gesellschaft“. Zu häufig, so die Meinung von Schelsky, sei nun alles irgendwie gesellschaftlich verursacht.
Zur aktuellen Relevanz betonte Jäckel: „Wer aus diesem Buch heute zitiert, muss die Umstände mitbenennen, die zu den damaligen Beobachtungen Anlass gaben. Schelsky selbst hatte in früheren Arbeiten meistens ein gutes Gespür für Begriffe, die die Wahrnehmung einer gesellschaftlich relevanten Veränderung auf den Punkt brachten.“
Man denke an die „skeptische Generation“ oder „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“, sagt Jäckel. Viele hätten diese Einordnungen damals als kluge Beschreibungen eingestuft, wenngleich diese Charakterisierungen parallel eine ebenso lebhafte Auseinandersetzung darüber ausgelöst hätten, wie richtig sie sind. In „Die Arbeit tun die anderen“ sei die Kontroverse dagegen sehr intensiv ausgefallen.