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„Zweitzeugen“ gegen Vergessen

In Herten gab es einen beeindruckenden Konfi-Tag mit dem Verein „Heimatsucher“

HERTEN – „Ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal passiert“ oder „Ich möchte nicht, dass Menschen denken, sie wären etwas Besseres als andere“. So lauteten einige der Rückmeldungen von Hertener Konfirmandinnen und Konfirmanden, die am Hertener Konfi-Tag im Gemeindezentrum an der Ackerraße in Herten-Langenbochum teilnahmen.
In Kooperation mit dem Verein „Heimatsucher“ beschäftigten sie sich mit den Geschichten von Überlebenden des Holocaust. Der Verein entstand aus einem Studierendenprojekt. Heute ist seine Zielsetzung, die Lebensgeschichten der Zeitzeugen durch das Aufzeichnen und Weitererzählen für die kommenden Generationen vor dem Vergessen zu bewahren. Gezielt sollen vor allem junge Menschen gegen Rassismus und Antisemitismus gestärkt werden.
Der Projekttag in Herten kam auf Initiative von Pfarrerin Rebecca Basse zustande, die selbst ehrenamtlich in dem Verein „Heimatsucher“ aktiv ist. Gemeinsam mit den Pfarrerinnen und Pfarrern Holger Höppner, Ulrike Baldermann, Bernhard Stahl und Martina Heubach leitete sie den Konfi-Tag, der von vier Mitgliedern der „Heimatsucher“ um Teamleiterin Vanessa Eisenhardt gestaltet wurde. Rund 80 Konfirmandinnen und Konfirmanden aus allen Hertener Gemeinden nahmen an dem Tag teil, der bei ihnen nachhaltige Eindrücke hinterließ.
„Zunächst haben die Jugendlichen über ihre normalen Tagesabläufe berichtet“, so Rebecca Basse. „Dann haben wir uns mit den Rassengesetzen der Nazis beschäftigt. Dadurch wurde klar, welchen Einschränkungen Juden nach 1933 im Alltag unterworfen waren: Sie durften keine deutschen Schulen mehr besuchen, nicht in Sportvereine oder die Musikschule gehen, nicht mehr alle Nahrungsmittel kaufen oder sich frei bewegen.“
Anhand einer Streichliste wurde den Konfirmanden klar, was es bedeutet, auf diese Weise ausgegrenzt und diskriminiert zu werden. Durch Zeitzeugenberichte lernten sie dann konkrete Lebensläufe einiger Juden in Nazideutschland kennen. Zum Beispiel den von Shoshana Maze, die dreieinhalb Jahre in einem Keller vor den Nazis versteckt wurde.
Der Verein „Heimatsucher“ verfolgt das Ziel, die Jugendlichen zu „Zweitzeugen“ zu machen, das Bewusstsein für die Gräueltaten zu wecken und sie zu sensibilisieren. Mit Hilfe von Karten vollzogen sie die Ereignisse auf einem Zeitstrahl nach und ergänzten das Erfahrene durch persönliche Anmerkungen.
Der Verein „Heimatsucher“ stellt auch Kontakt zwischen Jugendlichen und den Zeitzeugen her, deren Geschichte sie gehört haben. In vielen Briefen haben Jugendliche sich mit den Überlebenden in Verbindung  gesetzt. „Diese Briefe sind das schönste, was ich in meinem Leben bekommen habe“, sagt zum Beispiel Chava Wolf, die jahrelang durch die Wälder Rumäniens irrte, um sich vor den Nazis zu verstecken.
„Die konkrete Beschäftigung mit Einzelschicksalen hat bei den Konfirmandinnen und Konfirmanden einen Prozess der Auseinandersetzung in Gang gebracht“, zieht Rebecca Basse ein positives Fazit. „Man konnte merken, dass sich ihre Sichtweise veränderte. In den Familien wird oft nicht über dieses Thema gesprochen, deshalb ist es auch im christlichen Sinn wichtig, die Jugendlichen zu sensibilisieren, zumal die Überlebenden älter werden und sterben, sodass es immer weniger gibt, die ihre Geschichte noch erzählen können.“
Der Konfi-Tag mit dem Verein „Heimatsucher“ soll deshalb kein Einzelfall bleiben. „Wir wollen auch in den nächsten Jahren jeweils einen Tag zu diesem Thema anbieten“, so Rebecca Basse.