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Zwei geliebte Kinder

Über den Predigttext am 3. Sonntag nach Trinitatis: Lukas 15, 1-3.11b-32

W. Henke 2010

Predigttext am 21. Juni: Lukas 15, 1-3.11b-32 (in Auswahl)
24c Und sie fingen an, fröhlich zu sein. 25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen (…) 27 Der (Knecht) aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. 29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, (…) 30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.31 Er aber sprach zu ihm: (…) 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.

Der Vater und seine zwei Söhne. In der biblischen Geschichte fand bei uns Jugendlichen der jüngere Sohn alle Unterstützung – natürlich: Wir wollten in die Welt hinaus – wir wollten das Gewohnte verlassen – Neues ausprobieren und andere Wege gehen als unsere Eltern. Der ältere Sohn war in unseren Augen ein Langweiler, ein Stubenhocker – viel zu angepasst.

Doch heute beschäftigt mich gerade dieser ältere Sohn: Ich überlege, wie seine Zeit beim Vater gewesen ist: Er hat scheinbar alles richtig gemacht, brav seine Pflicht getan und in geordneten Bahnen gelebt.
Aber er wirkt auf mich so wenig selbstbewusst – so freudlos – so neidisch.

In welchem der Söhne finde ich mich wieder?

Offensichtlich hat er seine Wahl nicht genossen. Warum ist er denn nie mit seinen Freunden fröhlich gewesen? Er wirkt so grau – wie er da vor der Tür stehen bleibt. Heute kommt es mir vor, als ob dieser Sohn in Wahrheit der verlorene Sohn ist.
Erfassen können wir diese Geschichte nur, wenn wir bedenken, wem Jesus sie erzählt und warum: Jesus erzählt sie den Schriftgelehrten, den Pharisäern. Also den Frommen, die so pflichtbewusst und genau die Gebote lesen und in den heiligen Schriften forschen. Ernsthaft bemüht sind sie und fragen nach Gottes Willen… Sie wandeln vor Gott in Heiligkeit – in dem Selbstbewusstsein, dass sie es richtig machen und Gottes Willen tun.
Mit seinem Gleichnis eröffnet Jesus den frommen Schriftgelehrten einen neuen Blick. Staunen sollen sie über Gott und seine Liebe! Staunen sollen auch wir: Was ist das für ein Gott, der Menschen die Freiheit lässt, aufzubrechen und Neues zu versuchen? Oder aber dazubleiben und durchzuhalten? Offensichtlich sind beide wichtig bei Gott.
Was ist das für ein Gott, der Menschen die Sehnsucht nach Umkehr in das Herz gepflanzt hat, der Ausschau hält und auf die Menschen wartet?
Was ist das für ein Gott, der die Arme öffnet, entgegenläuft, sich freut und ein Fest feiert?
Was ist das für ein Gott, der möchte, dass alle seine Freude teilen – ein Gott, der auch die einsame Not des Neiders sieht?
Die frommen Schriftgelehrten leben eigentlich tagaus, tagein in der Nähe Gottes, mit seinen Geboten. Doch scheinbar füllt sie das nicht aus… Blicken sie auch neidisch auf die Lebenslust und Erfahrungen der anderen?
Manchmal denke ich: Der ältere Sohn, das ist unsere Rolle. Die Rolle der Kirchentreuen, die Rolle meiner Kirche, meiner Gemeinde. Wir sind pausenlos beschäftigt und engagiert in Ausschüssen und Gremien. Pflichtbewusst halten wir den Laden am Laufen. Wir debattieren endlos über Strukturen, Finanzen, Fusionen – oft enttäuscht – ohne Glanz.
Der Zugang zur Quelle scheint verschüttet. Wir wissen nicht, ob wir selbst noch den Verheißungen trauen.
Lebe ich vielleicht mit Gebet, Bibellektüre und Kirchgang, ohne tatsächlich Halt zu spüren – ohne aus dieser Nähe Gottes Leben zu schöpfen? Dann wird mein Engagement zu einer freudlosen Pflicht. Die Zugehörigkeit zur Gemeinde Jesu kann farblos werden. Viele vertreten angestrengt das „neue Gemeindekonzept“ und stehen dabei grau vor der Tür.

Ein Gott, der nach seinen Kindern Ausschau hält

Dieses Gleichnis packt mich aufs Neue: In welchem der beiden Söhne finde ich mich wieder? Wem gleicht mein Lebensweg? Mein Glaube?
Umkehren können beide!
Jesus stellt uns in diesem Gleichnis einen Gott vor Augen, der Ausschau hält nach seinen Kindern. Einen Gott, der uns entgegenläuft, sich neben uns stellt und ruft: „Mein Sohn – meine Tochter – du bist allezeit bei mir – was mein ist, ist auch dein.“
Ich möchte mich aufmachen und aus dieser Zusage leben, dienen und Freude schöpfen.