Hass und Gewalt gegen Sinti und Roma sind in Deutschland erneut gestiegen. Immer öfter geschieht dies im öffentlichen Raum. Der Bundesbeauftragte sieht im Jahresbericht einen klaren Auftrag an Politik und Gesellschaft.
Sinti und Roma erfahren in Deutschland immer mehr Diskriminierungen: Die gemeldeten Fälle verbaler und körperlicher Gewalt gegen die Minderheit sind im vergangen Jahr erneut stark gestiegen. Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) dokumentierte in ihrem dritten Jahresbericht 1.678 Vorfälle, wie sie am Montag in Berlin mitteilte. 2023 waren es 1.233 registrierte Vorfälle. Laut MIA kam es im vergangenen Jahr unter anderem zu 10 Fällen von extremer Gewalt, 37 Sachbeschädigungen, 50 Bedrohungen und 57 Angriffen. In den restlichen Meldungen ging es um Diskriminierung und direkte verbale Herabwürdigungen.
Der Bundesbeauftragte gegen Antiziganismus, Michael Brand, fordert ein konsequenteres Handeln. Der erneute und starke Anstieg sei “ein lauter Aufruf an Politik, Gesellschaft und Institutionen, dieser Entwicklung mit Energie und entschlossen entgegenzutreten”.
Der MIA-Jahresbericht sei dafür ein “wesentlicher Baustein, weil er die Realität sichtbar macht, an der wir arbeiten müssen”, so Brand. Diskriminierung und Gewalt dürften nicht akzeptiert werden. “Nicht alleine aus historischen Gründen, wegen des Völkermords an den Sinti und Roma während die NS-Diktatur, sondern weil Sinti und Roma aus positiven Gründen unseren Respekt und unsere Empathie verdienen.”
Während der Anstieg der Vorfälle zum Jahr 2023 auch durch eine größere Bekanntheit der Meldestelle begründet wurde, ist dieser Effekt laut Bericht bei den Zahlen für 2024 nun kleiner. Zudem geht MIA-Geschäftsführer Guillermo Ruiz von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Betroffenen erlebten eine zunehmend feindseligere Stimmung: “Antiziganismus ist in Deutschland Alltag.” Das zeigten auch Vorfälle im öffentlichen Raum, wie etwa in politischen Reden. “Viele der antiziganistischen Vorfälle in der Politik gehen von der AfD aus”, sagte Ruiz.
Doch auch andere Vorfallorte verdeutlichten, dass Anfeindungen gegen Sinti und Roma im Alltag angekommen seien. Die meisten Vorfälle haben demnach im Kontakt mit Behörden (369) stattgefunden. Dabei sei bei mehr als jedem vierten dieser Fälle die Polizei beteiligt gewesen, sagte Anna Jocham von MIA. Die Betroffenen “werden beleidigt oder die Polizei verweigert die Aufnahme einer Anzeige”.
Im Bildungsbereich, wie etwa an Schulen, haben laut dem Bericht die zweitmeisten Fälle stattgefunden (313). Diese Fälle zeigten die Kontinuität von Antiziganismus auf, so Jocham: “Oft halten Diskriminierung und Gewalt gegenüber einer Person über einen langen Zeitraum an – das ist aber nur als ein einzelner Fall in der Statistik sichtbar.” An Antiziganismus an Schulen seien auch Lehrkräfte beteiligt. Bei 62 Prozent der Meldungen im Bildungsbereich sei der Antiziganismus von Lehrern, der Schulleitung oder Sozialarbeitern ausgegangen. Vorurteile von Lehrkräften seien insbesondere von der Vorstellung geprägt, Sinti und Roma seien weniger an Bildungs- und Lernerfolgen interessiert oder dazu nicht in der Lage, heißt es in dem Jahresbericht.
Die Informationsstelle Antiziganismus besitzt in sechs Bundesländern eine regionalen Sitz. Ruiz fordert auch in den zehn übrigen Ländern eine Meldestelle: “Doch die Länder müssen sich an der Finanzierung beteiligen.” Oft fehle der politische Wille. Als Vorbild nannte er Schleswig-Holstein, wo vergangenes Jahr eine Meldestelle eröffnet wurde.