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Zeitzeuge: Hungerstreik war Schritt zu gesellschaftlicher Anerkennung

Als 26-Jähriger hat Christian Schubert einen historischen Moment hautnah miterlebt: Der Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) begleitete im April 1980 eine Gruppe von Sinti bei ihrem Hungerstreik in der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Für die Minderheit der Sinti und Roma sei der medial stark beachtete Protest damals „ein Schritt auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher Anerkennung“ gewesen, sagte Schubert dem Evangelischen Pressedienst (epd). Diesen Freitag (4. April) berichtet der pensionierte Lehrer zusammen mit anderen Zeitzeugen bei einem Gedenkakt zu 45 Jahre „Dachauer Hungerstreik“ über die Protestaktion.

Am 4. April 1980 waren elf Sinti, darunter mit Romani Rose der heutige Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, und eine Sozialarbeiterin in den Hungerstreik getreten. Sie forderten von der Bundesrepublik Deutschland, die Ermordung von rund 500.000 Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten endlich als Völkermord anzuerkennen. Außerdem verlangten sie vom bayerischen Justizministerium Auskunft über den Verbleib von Akten der ehemaligen „Landfahrerzentrale“, die bis 1965 systematisch und auf Grundlage von NS-Akten Personaldaten von Sinti und Roma erhoben hatte.

Weil es 1980 in der Versöhnungskirche keinen Hauptamtlichen gab, fiel Schubert und seiner ASF-Kollegin die Aufgabe zu, „organisatorische Begleiter“ des Protests zu sein. „Es ging darum, fragende Besucher und streikende Sinti zusammenzubringen“, erinnerte sich der heute 71-Jährige. Gerade weil kirchliche Zuständigkeiten unsichtbar blieben und die Aktion wie eine „illegitime Besetzung“ wirkte, habe der Protest so hohe Wellen schlagen können, meint Schubert im Rückblick.

Am 12. April 1980 habe schließlich der damalige, 2020 verstorbene Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) die Streikenden in der Versöhnungskirche besucht. Er habe den Moment als „Ausdruck gegenseitigen Verständnisses und Respekt“ erlebt, erläuterte der ehrenamtlich aktive Ruheständler. Für ihn sei der Kampf um die Rechte einer Minderheit auch 45 Jahre später „ein anhaltender Auftrag“, rassistischem Denken und Handeln entgegenzutreten und zu differenzieren, „wenn das Stigmatisieren, Typisieren und Vereinfachen die Oberhand gewinnen“. (1107/02.04.2025)