Das Zeitgefühl hat wohl jeder schon durchlitten: Auf dem Weg zum Arzttermin im Stau, drängt die Zeit immer unerbittlicher und scheint plötzlich auf der Überholspur davonzurasen. Und dann, nachdem es endlich weitergeht und der Patient abgehetzt und japsend gerade noch rechtzeitig im Wartezimmer Platz genommen hat, passiert es: Nichts. Absolut. Gar. Nichts. Es dauert und dauert und dauert… Jetzt stellt sich das gegenteilige Zeitgefühl ein: Zeit auf der Kriechspur. Im Schneckentempo.
Es greifen, wie an diesem Beispiel ersichtlich, zwei ungeschriebene Gesetze in der alltäglichen Zeit-Erfahrung jedes Menschenlebens. Das erste: Je mehr man etwas will, auf das man wartet oder das man herbeisehnt, um so länger dauert‘s. Jedes Kind, das seiner Geburtstagsgäste harrt, macht diese Erfahrung. Ebenso jeder Heranwachsende, der seiner Volljährigkeit entgegenfiebert. Das zweite: Je weniger man etwas will, auf etwas wartet oder etwas herbeisehnt, um so schneller scheint‘s zu kommen. Jeder Erwachsene, der sein Alter gefühlt merklich zügiger voranschreiten sieht, weil der „Zahn der Zeit“ an seinem Wohlbefinden immer spürbarer Nagespuren hinterlässt, kann ein Lied davon singen. Ein im Tenor eher verdrießlich klingendes Lied.
Es ist ein Lied, das der Psalmist aus tiefster Überzeugung übertönen will, wenn er voller Glaubenshoffnung singt: „Meine Zeit steht in deinen Händen.“ (Psalm 31, Vers 16) Ein ganz anderes Zeitgefühl wird hier deutlich. Eines, das Geborgenheit vermittelt. Eines, das eine andere Dimension jenseits jeder Lebenszeit erkennen lässt. Eine Dimension, die alle Zeit umschließt: ein „Ohne Zeit“. Die Ewigkeit.