Von Christhard Ebert
Gefühlt waren die ersten 30 Tage des Jahres 2015 grau, trübe und ungemütlich. Dann hatten meine Frau und ich Anfang Februar ein paar Tage Urlaub und wir fuhren zum Wintercamping in den Oberharz. Dort angekommen: Eine schon kräftige Sonne strahlte von einem leuchtend blauen Himmel in eine fast vollkommene Welt in weiß. Pures Licht, das unsere hungrigen und entwöhnten Seelen befreit aufatmen ließ. Und ich dachte: So sollte es eigentlich immer sein, mein Leben, unser Leben: So klar, so eindeutig, so frei atmend, so durchleuchtet.
So klar, so eindeutig,so durchleuchtet?
Aber fast paradiesische Zustände haben eine nur sehr kurze Halbwertszeit. Einen Tag später, bei der Wanderung auf den Brocken, schlug das Wetter kurz vor dem Gipfel um. Wir wurden von eisigen Wolkennebeln umfangen, die das Licht verschluckten und die Welt um uns herum zu einem grauen Nichts werden ließen.
Dies Erlebnis beschäftigt mich bis heute. Manchmal beneide ich den Evangelisten Johannes, der so eindeutig zwischen Licht und Finsternis unterscheiden kann: Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat‘s nicht ergriffen – im ersten Kapitel. Oder auch in dem Predigttext für den Sonntag Reminiszere: Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Ein herrlich eindeutiges Entweder-Oder: entweder Licht oder Finsternis. Nichts dazwischen. Schön einfach. Entweder hell oder dunkel. Entweder gut oder böse. Entweder Christ oder Heide. Entweder freiheitliche Demokratie oder islamistischer Dschihad.
Nein. Das ist zu einfach und viel zu verlockend. Es entspricht auch nicht meiner Erfahrung, schon gar nicht der mit mir selbst. Entschuldigung, lieber Evangelist Johannes, bei dieser scharfen Trennung kann ich dir nicht folgen. Das Leben ist eben nicht eindeutig. Es folgt viel mehr einem unscharfen „sowohl – als auch“ als einem strikten „entweder – oder“. Und das gefällt mir besser. Denn wenn es nur Weiß oder Schwarz gäbe – wo blieben die Farben? Wo bliebe die Lebendigkeit? Wo der Reichtum und die Vielfalt des Lebens? Wo blieben die Fähigkeiten der Veränderung und Entwicklung? Wie könnten wir anders uns nach dem Himmel strecken und gleichzeitig mit der Erde verwurzelt bleiben?
Andererseits natürlich auch: Deshalb machen wir Fehler. Deshalb werden wir unsere Konflikte nicht los. Deshalb verstehen wir uns so oft nicht. Wir sind uneindeutig. Wie sind immer das eine und das andere. Das ist Chance und zugleich auch Verhängnis, bedeutet Leichtigkeit genauso wie Schwere, Freiheit wie Gefangenschaft.
Jedem und jeder ist Gott nahe
In diese Situation hinein ist Gott Mensch geworden und darum ist unser Menschsein in seiner Schönheit wie seiner Hässlichkeit nicht länger gottlos. Darum ist kein Mensch auf der Welt in Wahrheit gottlos. Jedem, jeder ist Gott näher als er, als sie sich selbst. Da habe ich tatsächlich keine Frage. Aber was ich mich frage und zwar tatsächlich mich zuerst: Was mache ich damit? Wie öffne ich mich dem, was zutiefst in mir verankert ist und mich gleichzeitig so unbegreiflich übersteigt? Welche Wege kann ich gehen, um das scheinbar Unvereinbare zu vereinen wie Gelingen und Scheitern, Fallen und Aufstehen? Werde ich mich im Laufe meines Lebens immer mehr als Ganzen verstehen können, spüren und auch lieben können? Und von mir abgesehen: Wie können wir als Gemeinde Jesu Christi immer mehr dazu beitragen, dass andere die Gottesgegenwart in sich entdecken und sie so leben, wie es ihnen zu leben möglich ist? Vielleicht ist es ja eines Tages nicht mehr wichtig, in welcher Religion sich Menschen zuhause fühlen, wenn der Mönch und Mystiker Thomas Merton Recht hat und der Weg zu Gott der Weg zum eigenen Wesen und auch zum Wesen aller Geschöpfe ist.
Predigttext am Sonntag Reminiszere: Johannes 3,14-21
(…) Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. (…)Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.