Online-Posts und Videogrüße gab es im 15. und 16. Jahrhunderts noch nicht. Stattdessen tauschten die Menschen in dieser Zeit ihre Botschaften über Lieder aus. Diese hätten an der Schwelle zur Neuzeit eine ähnliche Funktion gehabt wie heute die sogenannten sozialen Medien, teilte die Universität Bayreuth mit. Sie beruft sich dabei auf Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern der Hochschule, die diese mit internationalen Experten aus Germanistik, Niederlandistik und Musikwissenschaften gemacht haben.
Um 1500 gab es den Angaben zufolge im deutschen Sprachraum eine reiche Liedkultur. Man sang und musizierte demnach, mehr oder weniger professionell, an Adelshöfen, in bürgerlich-städtischen und studentisch-universitären Kreisen. Die Lieder hätten sich so von Mund zu Mund verbreitet, seien abgeschrieben und sogar bereits gedruckt worden. Einblattdrucke mit Liedern seien schon vor 1500 bezeugt, 1512 sei das erste gedruckte Liederbuch erschienen.
Liebeslieder von früher wenig beachtet – bislang
“Die Lieder und insbesondere die Liebeslieder des 15. und 16. Jahrhunderts wurden von der Literaturwissenschaft bislang wenig beachtet, weil sie nicht ins gängige Schema der sogenannten Höhenkammliteratur passen”, erläutert Cordula Kropik vom Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik in Bayreuth. Sie hätten zwar selten berühmte Verfasser gehabt, oft seien sie sogar anonym und literarisch nicht allzu anspruchsvoll gewesen: “Wir zeigen, dass sie dennoch hochinteressant sind.”
Bei den Liebesliedern handele es sich etwa um Stücke, die sehr eng in soziale Zusammenhänge eingebunden gewesen seien, heißt es. Als solche gehörten sie jeweils der Gemeinschaft, die sie verwendet habe. “Diese Lieder lassen Phänomene von kollektiver Verfasserschaft und produktiver Rezeption erkennen, wie wir sie heute ganz ähnlich in der Populärkultur sehen. Deshalb sprechen wir vom Geselligen Sang”, führt Kropik aus.
Die Wissenschaftler gingen den Fragen nach, wo, wie und von wem die Lieder gesungen, geschrieben und gedruckt wurden. Auch wollten sie wissen, zu welchen Zwecken und bei welchen Gelegenheiten sie zu Gehör gekommen seien und welche Rolle dabei einzelne Akteure wie Textdichter oder Komponisten spielten. Mit ihrem Bayreuther Mediävestik-Kollegen Stefan Rosmer und internationalen Experten hat Kropik den Sammelband “Geselliger Sang” publiziert, der die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammenfasst.