Es scheint die immer gleiche Geschichte zu sein: Kriege beginnen, es scheint einen Sieger zu geben. Doch am Ende werden auch die Überlegenen wieder zu Verlierern. Historische Erfahrungen, ihre langen Schatten und die stets wiederkehrenden Konflikte der Menschheit stehen im Mittelpunkt des Werks von Anna Boghiguian. Anlässlich der Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises präsentiert die 1946 in Kairo geborene Künstlerin mit armenischen Wurzeln ab Samstag eine eigens für das Kölner Museum Ludwig geschaffene Arbeit.
Ihre raumfüllende Installation „Ein Gedicht – a poem“, die bis zum 30. März zu sehen sein wird, beschäftigt sich mit einem Krieg vor rund 2.200 Jahren. Dennoch sei ihre Arbeit hochaktuell, erklärt Museumsdirektor Yilmaz Dziewior. Die Künstlerin nutze historische Ereignisse, um auf gegenwärtige politische Entwicklungen hinzuweisen.
In ihrer Arbeit greift die Künstlerin das Gedicht „Die Schlacht von Magnesia“ (1915) des aus Alexandria stammenden Poeten Konstantin Kavafis (1863-1933) auf. Das Gedicht beschreibt eine entscheidende Schlacht des römisch-seleukidischen Krieges 190 vor Christus. Sie leitete den Untergang des Seleukidenreiches ein. Damit war die Ausdehnung des römischen Reiches nach Kleinasien möglich.
Die Installation zeigt die gegnerischen Kriegsherren als Skulpturen, weitere Szenen und Figuren als Zeichnungen und Cut-Outs sowie Wandmalereien. Gemälde bebildern das Gedicht Kavafis’. Ergänzt wird die Präsentation durch Zeichnungen aus dem Zyklus „Konstantin Kavafis. Ein Dichter am Rande der Geschichte“ (1995). Die Installation und die Zeichnungen werden mit dem Preisgeld von maximal 100.000 Euro angekauft. Zusätzlich schenkt die Künstlerin dem Museum Ludwig weitere Zeichnungen, sodass das Museum künftig über den gesamten Kavafis-Zyklus mit 88 Arbeiten verfügen wird.
„Anna Boghiguians Blick auf die Vergangenheit zeigt, wie vergangene Konflikte vor sich hin köcheln und eitern und damit gegenwärtige Konflikte schaffen“, erklärt die Gastjurorin des 30. Wolfgang-Hahn-Preises, Carolyn Christov-Bakargiev. Eroberer und ihre Reiche kämen und gingen wieder unter, sagt Boghiguian. Kavafis habe sein Gedicht während des Ersten Weltkriegs geschrieben, als die Machtverhältnisse auf der Welt sich ebenfalls verschoben. Dieser Krieg habe wiederum den Zweiten Weltkrieg begründet. Und auch heute herrsche in den Gebieten des damaligen Seleukidenreiches, etwa in Syrien, Libanon oder Irak wieder Unfrieden.
Mit Boghiguian ehrt die Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig eine Künstlerin, die erst in den vergangenen zehn Jahren international bekannt wurde. 2015 erhielt sie auf der Biennale in Venedig für den von ihr gestalteten armenischen Pavillon den Goldenen Löwen. Zuvor war sie bereits bei den Biennalen von Istanbul 2009 und Sharjah 2011 sowie 2012 bei der Documenta 13 zu Gast.
In Kairo als Tochter eines armenischen Uhrmachers geboren, studierte Anna Boghiguian in den 1960er Jahren Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft an der Amerikanischen Universität in Kairo. In den frühen 1970er Jahren zog sie nach Kanada, wo sie zunächst Musik und dann Kunst studierte. Inzwischen hat die Künstlerin ihr Atelier und ihren Hauptwohnsitz wieder in Kairo, ist aber unablässig auf Reisen.
Anna Boghiguians Arbeiten entstehen oft erst vor Ort. Die Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig habe sich deshalb erstmals dazu entschlossen, im Rahmen der Preisverleihung ein noch nicht fertiges Kunstwerk anzukaufen, sagte die Vorstandsvorsitzende Mayen Beckmann. Aufgrund ihrer Bezüge zum Expressionismus passe Boghiguians Werk ideal zur Sammlung des Museums Ludwig mit ihren starken expressionistischen Positionen, sagte Dziewior.
Der Wolfgang-Hahn-Preis wird jährlich von der Gesellschaft für Moderne Kunst verliehen. Die Auszeichnung richtet sich vor allem an zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, die sich international bereits einen Namen gemacht haben, in Deutschland aber aus Sicht der Juroren noch zu wenig Anerkennung erhalten. Das Preisgeld von maximal 100.000 Euro fließt in den Ankauf eines Werks oder einer Werkgruppe der Preisträgerin oder des Preisträgers.
Der Preis soll das Andenken an den Kölner Sammler und Gemälderestaurator Wolfgang Hahn (1924-1987) ehren. Zu den bisherigen Preisträgern zählen unter anderem Rosemarie Trockel, Isa Genzken, Cindy Sherman und Marcel Odenbach. Im vergangenen Jahr war die Auszeichnung an den belgischen Künstler Francis Alÿs gegangen.