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Wie Kirche zum Schutzort werden kann

Eine Fortbildung im Kirchenkreis Tecklenburg zum Thema „Sexualisierte Gewalt“

Das Thema Sexualisierte Gewalt  ist ins Blickfeld der Gesellschaft geraten. Gerade in den Kirchen wird deutlich: Wo besonders hilfsbedürftige Menschen Schutz suchen, finden sich immer auch Täter, die dieses Umfeld für ihre Taten nutzen – nicht selten gedeckt durch das Wegsehen oder die Billigung der Verantwortlichen.
Inzwischen bemühen sich die Kirchen zunehmend um Aufklärung und Prävention. So auch im Kirchenkreis Tecklenburg, der dem Thema eine ganze Studienwoche für Pfarrerinnen und Pfarrer widmete. Dabei ging es um ganz konkrete Fragen: Welche Situationen begegnen mir im Dienstalltag? Wo lauern Risiken, die ich seit Jahren unterschätzt habe? Wie bietet sich die Institution Kirche als guter Ort für potentielle Täterinnen und Täter an?
„Als Kirche wollen wir ein Schutzort sein, in erster Linie für diejenigen, die besonders schutzbedürftig sind“, so Superintendent André Ost. Opfer von sexuellem Missbrauch würden nicht zufällig ausgewählt. Die Täter suchten sich vielmehr Institutionen aus, von denen sie glauben, dass sie nicht genügend aufmerksam sind. „Wenn wir uns dem Thema in unserem Kirchenkreis widmen, dann wollen wir den Opfern sexualisierter Gewalt zeigen, dass wir ihnen Schutz und Hilfe geben. Und möglichen Tätern wollen wir signalisieren, dass wir wachsam sind“, erklärte der Superintendent.
Das passiert nicht von allein. Die Gemeindeleitungen und alle, die dort mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, benötigen Wissen und Aufmerksamkeit. „Ich bin hochmotiviert, mit unserem Presbyterium genauer hinzuschauen und zu überlegen, was wir verbessern können“, sagte Pfarrerin Angelika Oberbeckmann aus Westerkappeln.
Birgit Pfeifer von der „Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung“ (FUVSS) führte durch die Studienwoche (siehe Interview unten). Die FUVSS wurde von der Diakonie RWL in Zusammenarbeit mit lippischer und westfälischer Landeskirche als Reaktion auf die Missbrauchsskandale in katholischer und evangelischer Kirche eingerichtet. Pfeifer bietet Fortbildungen an und unterstützt Leitungsverantwortliche in Kirchenkreisen und Gemeinden, wenn ein Verdacht im Raum steht. Betroffenen von sexualisierter Gewalt steht sie als Lotsin zur Verfügung. Bei der Entwicklung von Schutzkonzepten unterstützt sie Kirchengemeinden und diakonische Träger und Einrichtungen. UK

Kontakt: Birgit Pfeifer, E-Mail B.Pfeifer@diakonie-rwl.de, Telefon (02 11) 63 98-342, Handy: (01 51) 11 34 42 90.

 

Warum müssen sich Kirchenkreise und Kirchengemeinden mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigen?
Sexualisierte Gewalt auf Kinder und Jugendliche kann an allen Orten stattfinden, an denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten – also auch im Raum von Kirche. Kirche genießt bei Kindern und Eltern ein hohes Vertrauen. Dem wollen wir gerne gerecht werden, indem wir unsere Angebote möglichst sicher gestalten. Wir mussten leidvoll erfahren, dass sexualisierte Gewalt, die in Kirche und möglicherweise auch durch Mitarbeiter von Kirche verübt wird, bei den Betroffenen großen Schaden anrichtet. Neben den Traumatisierungen, die die Betroffenen beschreiben, sind sie zusätzlich in ihrer Spiritualität und ihrem Glauben häufig zutiefst erschüttert.

Was kann eine Kirchengemeinde tun, um sicherer zu werden?
Es gibt ein ganzes Bündel an Dingen, die getan werden sollten. Zunächst geht es darum, sensibel für das Thema zu sein. Dafür sind Fortbildungen wie die im Kirchenkreis Tecklenburg wichtig: Pfarrerinnen und Pfarrer sind als Leitungsverantwortliche in den Gemeinden in Verdachtsfällen besonders gefordert und benötigen daher eine spezielle Zurüstung.

Worauf müssen Verantwortliche besonders achten?
Ich brauche Wissen darüber, wie Täter und Täterinnen vorgehen und was Institutionen anfällig macht. Wenn ich mehr weiß über das Vorgehen von Tätern und Täterinnen, dann kann ich eine sinnvolle Risikoanalyse in meiner Gemeinde machen. Selbstverständlich mache ich das als Pfarrer oder Pfarrerin nicht alleine, sondern beziehe haupt- und nebenamtliche Mitarbeitende, Kinder und Jugendliche und auch Sorgeberechtigte mit ein. Gleichzeitig gilt es, die Kinder und Jugendlichen bei uns stark zu machen und das Thema „Kinderrechte“ selbstverständlich zu leben.

Und wenn plötzlich doch ein Verdacht im Raum steht?
Dafür brauche ich einen Plan: Wer muss dann wie handeln? Was sollte man auf keinen Fall machen? Dieser Plan muss allen Haupt- und Ehrenamtlichen in der Gemeinde bekannt sein. Dann empfehle ich noch allen Gemeinden, klar zu regeln, wo Kinder und Jugendliche, aber auch deren Eltern sich melden können, um von unangemessenem Verhalten und Grenzüberschreitungen im kirchlichen Raum zu berichten. Selbstverständlich ist für viele Gemeinden mittlerweile das Einholen eines polizeilichen Führungszeugnisses bei Haupt- und Ehrenamtlichen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Gemeinden machen Menschen damit deutlich, dass sie ihre Schutzfunktion ernst nehmen.

Die Fragen stellten Britta Jüngst und Vera Gronemann.