Schulpflicht? Nein, danke! Nicht erst seit Corona gibt es in Deutschland Eltern, die ihre Kinder vom Schulsystem fernhalten wollen. Laut Experten ein vielseitiges und beständiges Problem.
Esoteriker, Fundamentalisten und Verschwörungsideologen: Experten warnen vor immer mehr Eltern, die das Schulsystem aufgrund ihrer eigenen Weltanschauung boykottieren. Ihr Ziel ist es, Kinder von staatlichen Einflüssen abzuschirmen. Laut der nordrhein-westfälischen Sekten-Info in Essen treten solche Fälle bundesweit zunehmend auf. Der Geschäftsführer der Beratungsstelle, Christoph Grotepass, erklärt, wie Schulkritiker in Deutschland gegen das System arbeiten.
Um die Schulpflicht zu umgehen, kommt es laut Grotepass etwa vor, dass Eltern ihre Kinder einfach nicht zur Schule anmelden oder nach einem Umzug nicht ummelden. “Im Extremfall wird ein Kind ohne Unterstützung geboren und dem System insgesamt entzogen”, sagt der Theologe. Zudem gibt es laut der Sekten-Info Eltern, die mit ihren Kindern in Länder wie Russland, Paraguay oder nach Österreich auswandern, wo zwar Unterrichtspflicht, aber keine Schulpflicht besteht.
Die Corona-Pandemie hat dabei nach Angaben des Geschäftsführers für die Schulverweigerung wie ein Katalysator gewirkt. Eltern hätten versucht, den Nachwuchs aus Angst vor Impfkampagnen von der Schule fernzuhalten. “Manche haben ihre Kinder nach den Unterrichtsbeschränkungen einfach nicht wieder zurückgelassen”, so Grotepass.
Für solche und ähnliche Vermeidungsversuche gebe es eine ganze Unterstützerszene. “Die Freilerner-Szene ist eigentlich bunt, das darf man nicht einseitig verurteilen. Aber sie ist von Verschwörungsideologen unterwandert worden.” In Internetforen könnten Interessierte einfach an Best-Practice-Beispiele gelangen, wie man Schule vermeidet.
Laut Grotepass geht die Ablehnung von Schulen oft mit Staatskritik und staats-delegitimierenden Ideen einher. Zur Abgrenzung von der Gesellschaft seien etwa Pläne für eigene Bildungseinrichtungen bei religiösen Fundamentalisten, Verschwörungsideologen oder auch Reichsbürgern im Gespräch. Gründungsversuche von Alternativschulen solcher Gruppen habe der Staat bislang aber unterbunden oder wieder kassiert.
Ein Beispiel bietet laut Sekten-Info die fundamentalistisch-religiöse Gemeinschaft der “Zwölf Stämme”. Nachdem Kinder der aus den USA stammenden Gruppierung lange Zeit keine Schule besuchten, habe sie 2006 die Erlaubnis erhalten, eine eigene Einrichtung aufzubauen. Als herauskam, dass Heranwachsende dort mit Rutenschlägen gezüchtigt wurden, wurde das Projekt 2013 eingestellt. Zahlreiche Kinder wurden in Pflegeheimen untergebracht, da körperliche Züchtigung auch in den Familien üblich gewesen sei. Viele Mitglieder der “Zwölf Stämme” seien daraufhin nach Tschechien ausgewandert.
Neben Gefahren für Kinder durch solche Extremfälle hebelt die Schulverweigerung nach Ansicht von Grotepass auch die einende Idee der Schulpflicht aus: “Die Schulpflicht soll ja Parallelgesellschaften verhindern, damit Minderheiten nicht ausgeschlossen werden.” Gleichzeitig sollten sich auch die Minderheiten nicht selbst ausschließen. Jungen und Mädchen müssten in Kontakt mit anderen Kindern kommen, um unterschiedliche Wertvorstellungen kennenzulernen.
Um allen Kindern eine solche Vielfalt bieten zu können, unabhängig von der Weltanschauung der Eltern, beraten die Sekten-Info und andere Fachstellen betroffene Heranwachsende, Familien und auch Lehrer. Wenn Beratung allerdings nicht ausreicht oder nicht angenommen wird, gehe der Fall ans Jugendamt. “Wir haben auch schon Europol informiert, weil die Eltern untergetaucht sind”, erzählt Grotepass. Denn am Ende sei das Aushebeln der Schulpflicht keine Bagatelle: “Wenn ein Vorenthalten von Bildung vorliegt, ist das auch ein Aspekt von Kindeswohlgefährdung.” Die Verletzung der Schulpflicht kann mit Bußgeldern geahndet werden, in schweren Fällen auch mit dem Entzug des Sorgerechts.