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Wie Franz Müntefering zur Leseratte wurde – durchs Radio

Wie soll man Bücher für sich entdecken, wenn es daheim keine Literatur gibt? Ein früherer Spitzenpolitiker aus einfachen Verhältnissen erzählt. Wie ihm ein Ratenkauf seines Vaters zugute kam.

Franz Müntefering (85), ehemaliger SPD-Chef, hat in einem Interview verraten, wie er zum Leser geworden ist. “Es gab bei uns zu Hause keine Literatur, nur Gesangbücher”, verriet der frühere Spitzenpolitiker dem “Süddeutsche Zeitung Magazin”. Sein Rektor habe gewollt, dass er eine weiterführende Schule besuche, aber dafür habe die Familie kein Geld gehabt. “Zum Leser wurde ich durch das Radiogerät, das mein Vater für die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 angeschafft und in Raten abbezahlt hatte.”

Im WDR-Nachtfunkt habe er im Alter von 15 oder 16 Jahren eine Sendung über Dostojewskis Roman “Schuld und Sühne” gehört, erzählte Müntefering. Da sei seine Mutter ins Zimmer gekommen, habe kurz zugehört und dann gemeint: “Junge, hör dir das nicht an, das bringt dich nur durcheinander, und ich kann dir dabei nicht helfen.” Er habe aber “Lunte gerochen” und den WDR in einem Brief gebeten, ihm das Manuskript der Sendung zu schicken. “Haben die tatsächlich gemacht.”