“Es war nur ein Zellklumpen”, sagten manche. Doch für Melissa Kopschina war es ihr Kind, das sie verlor. Durch Kunsttherapie konnte sie die Trauer verarbeiten – im Rahmen einer klinischen Studie. Heute hilft sie anderen.
Eine routinemäßige Vorsorgeuntersuchung in der zehnten Schwangerschaftswoche ist es, zu der Melissa Kopschina im Frühsommer 2021 geht. Dort zeigt sich, dass das Herz ihres Kindes nicht mehr schlägt. “Ich wusste, dass das passieren kann”, sagt sie heute. Aber sie habe doch nicht damit gerechnet, dass es sie treffe. Ihr Umfeld habe teils wenig Verständnis für ihre Situation gehabt, erinnert sich die dreifache Mutter – gerade, weil ihr Kind so früh gestorben sei. “Ich musste mich ständig rechtfertigen, anstatt einfach trauern zu können.”
Hilfe sucht sie zunächst bei einem Psychotherapeuten. “Der hatte aber kein Verständnis für mich”, sagt sie. “Ich wusste irgendwann nicht mehr, worüber ich noch reden soll.” Dann wird sie von ihrer Hebamme auf eine Studie des Klinikums Nürnberg und der ParacelsusMedizinischen Privatuniversität aufmerksam gemacht: Gesucht werden Frauen, die traumatische Erlebnisse hinter sich haben. Die Forschung will herausfinden, ob Kunsttherapie ihnen bei der Verarbeitung helfen kann. Sie habe gehofft, dass sie dazuzähle, sagt Kopschina, “weil mein Trauma von manchen nicht als so groß empfunden wurde.” Doch nach einigen Telefonaten, Untersuchungen und einem Losverfahren steht fest, dass sie teilnehmen kann.
Malerei hatte der gelernten Gesundheits- und Krankenpflegerin schon immer gelegen. Die Möglichkeit, bei der Studie mitzuwirken, kommt für sie also wie gerufen. Und tatsächlich habe sie sich von Anfang an wohlgefühlt. “Ich habe einen ganz tollen Kunsttherapeuten gehabt”, erinnert sie sich. “Man hat mir nie das Gefühl gegeben, dass mein Trauma nicht so wichtig wäre.” In acht Sitzungen zu je zwei Stunden bekommt sie Raum, ihre Erlebnisse durch das Malen zu verarbeiten. “Auf dem Papier konnte ich das ganz anders ausdrücken als durch Sprache”, ist ihr Eindruck. “Das, was man manchmal nicht in Worte fassen kann.”
Die Aufgaben sind sehr unterschiedlich. Einmal soll sie einen Ort malen, an dem sie sich sicher fühlt und Kraft schöpfen kann. Ein anderes Mal einen Koffer mit Gegenständen, die sie einpacken möchte. Und in jeder Sitzung wieder das Bild, das zeigt, wie es ihr gerade geht. Am Anfang ist es darauf düster, dann wird es allmählich heller. Zwischendurch malt sie erneut Gewitterwolken und Blitze darauf – und am Ende schließlich Blumen und Sterne, die die Blitze überdecken. Auf jedem dieser Bilder steht Kopschinas Baby im Mittelpunkt: “Das wollte ich unbedingt, weil mir von so vielen Seiten gesagt wurde, dass es kein Kind sei, sondern nur ein Zellklumpen.”
Parallel wird sie immer wieder medizinisch untersucht. Blut und Speichel werden auf Stressmarker getestet, zudem füllt sie zahlreiche Fragebögen aus. 48 Frauen nehmen an der Studie teil, viele von ihnen hatten zuvor wie Kopschina Fehl- oder Totgeburten. Anfang 2025 werden die Ergebnisse veröffentlicht: Die Kunsttherapie konnte den Stress der Betroffenen tatsächlich senken. Posttraumatische Symptome wie ungewollte Erinnerungen oder Vermeidungsverhalten konnten durch das Malen reduziert werden. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe, die keine Kunsttherapie erhielt.
Die Studie zeige, dass psychosomatische Medizin mindestens so wirksam sei wie ein Medikament, erklärt Christiane Waller, Chefärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Nürnberg. “Und sie wirkt dort, wo ein Medikament nicht hinkommt.”
Für Kopschina steht fest: “Durch die Maltherapie hatte ich das Gefühl, dass ich Frieden schließen kann.” Nach jeder Sitzung sei es ihr etwas besser gegangen. Deshalb wünscht sie sich, dass diese Therapieform von den Krankenkassen unterstützt wird. Bislang finanziert das Gesundheitssystem in der Regel keine ambulante Kunsttherapie. Dabei zeigen nach Angaben des Klinikums Nürnberg 20 bis 30 Prozent aller Frauen nach einer Fehl- oder Totgeburt Anzeichen von Depressionen oder Angststörungen.
Heute, sagt Kopschina, sei sie dankbar für diese Ereignisse – “auch wenn das komisch klingt.” Natürlich trauere sie noch immer. Doch sie sieht den Verlust als Einschnitt in ihrem Leben. Damals wechselt sie den Job, macht zusätzlich eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin und engagiert sich seitdem beim Sternenkinderzentrum Bayern. Dort begleitet sie Familien, die Ähnliches erlebt haben. Was sie in der Kunsttherapie gelernt hat, versucht sie dort umzusetzen, indem sie kreative Elemente einbaut. Das Geschehene habe sie wachgerüttelt sagt sie. “Es hat mir gezeigt, dass das Leben, das ich vorher gelebt habe, vielleicht doch nicht der richtige Weg für mich war.”