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Wie die Kunst nach neuen Heldenmythologien sucht

Hereinspaziert in den modernen „Garten der Lüste“: Wie in einem surrealistischen Spektakel fliegen nackte Körper in den Himmel, marschieren fantastische Science-Fiction-Figuren und brennen Wolkenkratzer. Der italienisch-kanadische Videokünstler Marco Brambilla hat für die wandfüllende Video-Collage „Creation“ zahlreiche Szenen aus bekannten Hollywood-Filmen zu einer Schöpfungsgeschichte zusammengeschnitten. Entstanden ist ein überlebensgroßer Film-Kosmos, der den Betrachtenden den Eindruck vermittelt, in ein modernes Gemälde des spätgotischen Malers Hieronymus Bosch einzutauchen.

Die Filme, die Brambilla verarbeitete, sind nach dem üblichen Hollywood-Schema gestrickt: Helden kämpfen gegen das Böse, zwei Mächte bekriegen sich, und am Ende gibt es einen Sieger. Brambilla, der seinen Job als Hollywood-Regisseur gegen die Video-Kunst eintauschte, dekonstruiert die großen Heldensagen der Filmindustrie mit seinem Werk. Aus den vielen Heldengeschichten entsteht ein organisches Ganzes.

Das ist ganz im Sinne der Idee der Ausstellung „Hypercreatures – Mythologien der Zukunft“, die ab Samstag im Max Ernst Museum in Brühl zu sehen ist. Im Mittelpunkt der Schau stehe die Frage, wie angesichts globaler Krisen konstruktive Zukunftsperspektiven entworfen werden könnten, erklärt Museumsdirektorin Madeleine Frey. In Zeiten der Globalisierung werde deutlich, dass alles auf der Erde miteinander verbunden sei. Ereignisse am anderen Ende der Welt wirkten sich auch hierzulande aus. „Denken, das abgrenzt, geht nicht mehr. Wir haben uns also gefragt, wie sich Verbundenheit darstellen lässt.“

Herausgekommen ist dabei eine Ausstellung mit Werken von 26 zeitgenössischen Künstlerinnen, Künstlern und Kollektiven aus insgesamt 16 Ländern, die bis zum 5. Oktober gezeigt wird. Gemeinsam ist den Arbeiten, dass sie hybride Lebewesen und Lebenswelten zeigen, in denen sich Mensch, Tier, Maschine oder Pflanze verbinden. Sie treten in Dialog mit ausgewählten Arbeiten des Hauspatrons Max Ernst. Mit ihren Ideen knüpfen die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler unmittelbar an die Arbeit des Surrealisten an, der ab 1920 für seine Collagen Abbildungen menschlicher und nicht-menschlicher Körper aus Broschüren, Katalogen oder Büchern zerschnitt und zu neuen Mischwesen zusammenfügte.

In Brühl lässt sich beobachten, wie zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler diese Idee in neue Dimensionen übertragen. Zu sehen sind zahlreiche multimediale Installationen, die zum Teil auch zur Interaktion und zum Spielen einladen. Hinzu kommen Videoarbeiten, Collagen sowie Textil- und Keramikarbeiten.

Eine Idee, die sich als roter Faden durch die Ausstellung zieht, ist die Auflösung von Gegensätzen und Polarität. „Wir möchten Geschichten vom Miteinander statt vom Gegeneinander erzählen“, erklärt Kurator Patrick Blümel. Dafür steht zum Beispiel die Installation des französischen Künstlers Kévin Bray mit dem Titel „BullBear Dynamics“. Er hat eine weiße Plastik aus Kunststoff an die Wand gehängt, die durch Video-Projektion zwei Gesichter erhält: Ein Bulle und ein Bär. Am Aktienmarkt verkörpert der Bulle steigende Kurse, während der Bär für sinkende Kurse steht. In dem Kunstwerk verschmelzen die beiden Figuren, die ständig eine Leiter auf- und abklettern, miteinander. Brey hinterfragt so den Antagonismus von Gewinn und Verlust sowie das System von stetigem Wachstum.

In der wandfüllenden Videoarbeit der chinesischen Künstlerin Lu Yang treffen Fantasy-Figuren im Stil des Video-Spiels „Street Fighter“ aufeinander. Sie verkörpern Himmel und Hölle. Doch anders als in der Welt der Videogames kämpfen sie nicht gegeneinander, sondern tanzen zusammen. Am Ende verschmelzen sie zu einer neuen Figur.

Mitspielen können Besucherinnen und Besucher unter anderem in der Videowelt der Künstlerin Mary-Audrey Ramirez. Auch die in Berlin lebende Luxemburgerin bricht mit den üblichen Erzählstrukturen von Videogames. Bei „Forced Amnesia“ schlüpfen Spielerinnen und Spieler in die Rolle eines schwachen und verletzlichen Wesens. Um zum Erfolg zu gelangen, ist Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung gefragt.

Die Installation des südkoreanischen Duos Hyeseon Jeong und Seongmin Yuk entwirft eine Vision, in der Technologie Mensch und Tier miteinander verbindet. Ausgehend von Forschungen, bei denen Vögel mit Hilfe von GPS-Sendern beobachtet werden, entwirft das Künstler-Paar eine Vorstellung davon, wie Mensch und Tier miteinander kommunizieren könnten. Viele Tiere spüren Naturkatastrophen früher als Menschen. Über eine digitale Verbindung könnten Tiere den Menschen möglicherweise in Zukunft sogar warnen.