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Wie die deutsche Teilung die Tierwelt formte: Der Fuchs und der Döner

Kaum ein Mensch hat sich zu Zeiten der deutschen Teilung in die Nähe des Todesstreifens an der Grenze gewagt. Viele Wildtiere aber fanden dort einen Rückzugsort – mit Auswirkungen bis zu heutigen Generationen.

Wie ein Ring hat er sich um West-Berlin gezogen. 155 Kilometer lang nur Wachtürme, Zäune, Stacheldraht. Und Beton. Viel Beton. Wer ihn betritt, auf den wird geschossen: Der Todesstreifen zur Zeit der deutschen Teilung. Er schien wie eine sichtbare Leerstelle des Lebens. Doch genau dort, in diesem gefährlichen Nichts, entwickelte sich ein Refugium für die verschiedensten Wildtiere, deren Nachfolgegenerationen bis heute von der Teilung geprägt sind.

“Die Teilung ist und bleibt eine Zerschneidung der Landschaft. Sie brachte unendlich viel Leid – für Menschen und auch Tiere”, sagt Derk Ehlert. Der Wildtierreferent des Berliner Senats sprach vor Kurzem bei einer Veranstaltung im Berliner Tierpark über die Auswirkungen der Mauer für die Tierwelt. Doch die waren nicht ausschließlich negativ. “Wenn man von etwas Positiven sprechen kann, dann sind das die Flächen vor und hinter der Mauer. Dort konnten sich die Tiere zurückziehen, da waren sie ungestört.”

Durch die menschliche Abwesenheit war für die Tiere ein geschützter Raum entstanden. Dazu fand im Grenzstreifen kaum Jagd statt. “Das oblag den Alliierten, die aber kaum davon Gebrauch gemacht haben”, erklärt Ehlert. “Unter den Tieren hat sich das natürlich schnell herumgesprochen.” Habe man in der Zeit der deutschen Teilung Wildtiere beobachten wollen, sei man vom Westen aus an die Mauer gegangen. “Für mich war es etwas ganz normales, diese Wildtiere zu beobachten. Ich war damals sieben Jahre alt und verwundert, dass es im restlichen Land nicht so war”, erzählt der Westberliner.

Die unfreiwilligen tierischen Schutzzonen waren ein Grund, warum im Grenzgebiet mit als erstes in Deutschland Füchse und Wildschweine vertrauter waren. Für Westberliner seien Begegnungen mit diesen und anderen Tieren völlig normal gewesen, so Ehlert. Im Grenzgebiet tauchten sie besonders häufig auf. “Noch heute haben wir Wildbestände auf der Grundlage, wie politisch agiert wurde.”

Auch in der Innenstadt konnte die Tierwelt einen Nutzen aus dem Todesstreifen ziehen. Massenhaft Kaninchen, die schnell unter dem Spitznamen “Mauerhasen” Berühmtheit erlangten, tummelten sich auf dem Berliner Mauerstreifen. Der “Mauerhase” hat es gar in einen eigenen, gleichnamigen Dokumentarfilm geschafft. “Sie lebten in Kolonien, gruben Tunnel und zogen sich bei Gefahr zurück”, erklärt Ehlert. Er selbst habe sie als Kind von einer Aussichtsplattform aus beobachtet. Nach dem Fall der Mauer jedoch wurde das Gebiet bebaut, die Zahl der Kaninchen ist gesunken.

Die Nähe zur Grenze und den Menschen, das Leben in und vor den Toren einer Millionenmetropole hat die Tiere geprägt. “Bis heute leben viele Kaninchen ausschließlich in der Stadt, kaum eines im Wald”, so Ehlert. Die Tiere haben sich nach ihrer Niederlassung in Stadtnähe nach der Teilung über die Jahrzehnte an die Menschen gewöhnt. Das gilt nicht nur für die Kaninchen: Heute etwa brüten Habichte in der Stadt, der Bestand ist stärker. Sie haben eine neue Jagdtechnik entwickelt und fangen jetzt Tauben in Hinterhöfen, so Ehlert.

Eine spezielle “Jagdtechnik” haben sich auch Berliner Füchse angeeignet – in der Hauptstadt sind sie inzwischen mehr Sammler als Jäger. Sie haben ihre Nahrung in der Hauptstadt gefunden und sind dort geblieben. Sie hätten kleinere Reviere und Plätze, an denen jeden Abend Essen abfalle, so Ehlert. Ganz im Zeichen der typischen Berliner Esskultur heißt es für die Füchse also: Einmal Döner mit alles, bitte.

Wenn die Füchse dann doch mal Appetit auf eine Ratte haben, läuft die Jagd recht stationär ab. Sie suchen sich einen Platz, an dem viele Ratten aus ihren Löchern kommen. “Dann setzen sie sich hin, warten, und greifen die Ratten einfach ab”, sagt Ehlert.

Zwar konnten einige Tiere die Mauer überqueren, für viele aber blieb sie ein unüberwindbares Hindernis – zumindest bis zum Mauerfall. “Die Biber haben an Elbe und Havel in Ruhe gut überlebt. Nach der Grenzöffnung kamen sie dann in die Stadt”, sagt Ehlert. “Sie sind quasi eingewandert.” Seitdem ist ihre Population gewachsen.

Mit einem Mythos aber räumt Ehlert auf: “Die DDR ist nicht Schuld, dass wir in Deutschland Waschbären haben.” Zwar gebe es erste Beobachtungen aus dem Osten. “Aber sie sind schon über 100 Jahre im Land, und sie wurden in Hessen ausgesetzt.” Kassel in Nordhessen, das als inoffizielle Waschbären-Hauptstadt gilt, kann es also nicht auf den Osten schieben. Übrigens sind die Tiere im Westen eher heller und im Osten eher dunkler. Spuren der deutschen Teilung sind auch in der Tierwelt bis heute sichtbar.