Predigttext am 22. Sonntag nach Trinitatis: Matthäus 18, 21-35 (Auswahl):
(…) 26 Da fiel ihm der Knecht zu Füßen und flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir‘s alles bezahlen. 27 Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch. 28 Da ging dieser Knecht hinaus und traf einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Silbergroschen schuldig; und er packte und würgte ihn und sprach: Bezahle, was du mir schuldig bist! 29 Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir; ich will dir‘s bezahlen. 30 Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er bezahlt hätte, was er schuldig war. (…) 32 Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich gebeten hast; 33 hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? (…)
Das Gleichnis vom Schalksknecht – schnell sind da die Rollen im Kopf verteilt: Der böse Schalksknecht, der erbarmungslos die Schulden seines Mitknechtes einfordert, obwohl ihm selbst vom König alle Schulden erlassen wurden. Der König, der sich zuerst barmherzig zeigt, aber nachher mit harter Hand durchgreift und den Schalksknecht ins Gefängnis werfen lässt. Am Ende siegt doch das raue Gesetz und nicht die barmherzige Menschlichkeit.
Der Mitknecht – so herzlos
Doch welche Rolle spielen eigentlich die Mitknechte im Gleichnis? Ein scheinbarer „Komparse“ erzählt: „Seit gestern frage ich mich: Habe ich richtig gehandelt? Hätte ich es gleich dem König erzählen sollen? Jetzt sitzen beide im Gefängnis und keinem ist wirklich geholfen.
Ich fand es aber eine Unverschämtheit, dass der eine von uns sich unserem Mitknecht gegenüber so überheblich verhält und auf sein Recht pocht. Obwohl er doch weiß, was für Schwierigkeiten das machen kann. Er selbst war in der Situation, hat aber beim König eine ganz andere Erfahrung gemacht – das hätte er doch weitergeben müssen. Stattdessen behandelt er unseren Mitknecht so herzlos.
Das hat mich richtig wütend gemacht und so habe ich ihn beim König angeschwärzt. Heute frage ich: War das eine gute Idee? Es wäre vielleicht besser gewesen, das untereinander zu klären und nicht gleich beim König petzen zu gehen. Vielleicht hätte ich den Mitknecht überzeugen können, Geduld zu haben, auf das Geld zu warten. Ihn an sein eigenes Erlebnis kurz zuvor erinnern. Wir hätten die Sache bestimmt anders regeln können.
Aber ich hatte den Gedanken: Wenn er seinen Mitknecht so schlecht behandelt, hat er das Erbarmen des Königs gar nicht verdient. Wenn er seinen Mitknecht ins Gefängnis bringt, dann soll er selbst auch seine Strafe absitzen, zumal sie ihm vorher erlassen wurde. Genau so hat der König dann entschieden. Ich war nicht der Einzige, der so dachte.
Andererseits: Nichts hat sich verbessert dadurch, dass beide im Gefängnis sind. Der andere Mitknecht ist deswegen nicht freigekommen. Ich frage mich daher, ob die ganze Anschwärzerei richtig war. Jeder von uns macht doch mal Fehler. Da soll sich nicht gleich der Nächstbeste als Richter aufspielen – besser ist der bestimmt auch nicht.
Von unserem Mitknecht habe ich Barmherzigkeit erwartet, weil er es selbst vom König so erfahren hat. Doch ich selbst habe mich auch nicht barmherzig verhalten, als ich ihn beim König verraten habe. Ich konnte meinem Mitknecht sein Verhalten nicht vergeben. Ich bin kein Stück besser als er.
Ich stelle mir vor: Ich gehe nicht zum König, sondern spreche mit den beiden. Ich versuche zu vermitteln, vielleicht auch einen Teil der Summe für den Mitknecht zu bezahlen. Wir alle sind aufeinander angewiesen. Wäre es bei mir dann soweit, wäre ich für die Nachsicht dankbar.
Den Durchblick, wer Erbarmen verdient?
Die barmherzige Nachsicht des Königs – die hat mich beeindruckt. Das müsste doch reichen, um zu wissen, wie es geht. So eine Barmherzigkeit zu erfahren, tut bestimmt gut. Es macht es leichter, anderen gegenüber barmherzig zu sein. Wenn keiner den Anfang macht, dann geht es nie los. Doch in der Situation selbst konnte ich es nicht. Das macht mich traurig.
Für das nächste Mal versuche ich also, richtig zu handeln. Barmherzig, so wie der König.“
Der Mitknecht bringt hier eine neue Perspektive auf das Gleichnis: Was ist mit uns, die wir dabeistehen und zuschauen, selbst urteilen? Haben wir den Durchblick, wer Erbarmen verdient hat und wem seine Schuld nicht vergeben werden kann?