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Wer hat’s erfunden?

Schon antike Dichter ärgerten sich über den Diebstahl ihrer Ideen. Bis heute geht es bei Plagiats-Affären um Fragen des Ansehens und des Geldes – bei Künstlern, aber auch bei Politikern

Am Anfang war das Wort. Und nach dem Wort kam der Zorn – zumindest beim römischen Poeten Martial. Der Dichterfürst, der im ersten nachchristlichen Jahrhundert zu Ruhm und Ehre kam, reagierte erbost, als ein Kollege sich mit fremden Versen schmückte. Er habe seine eigenen Kreationen wiedererkannt, schrieb Martial dem Gönner des betrügerischen Barden ins Stammbuch und zog einen folgenschweren Vergleich: Wie ein Familienvater seine Sklaven oder Kinder habe er seine Bücher in die Freiheit entlassen. Er wünsche nicht, dass dieser Zustand durch einen „Menschenräuber“ rückgängig gemacht werde.

„Menschenräuber“, lateinisch „Plagiarius“: Damit war ein Begriff in der Welt, der die Menschheit bis heute beschäftigt. Texte abzukupfern oder Erkenntnisse anderer als eigene auszugeben – das kommt immer noch schlecht an. Hierzulande stehen vor allem Vertreter aus der Politik im Fokus. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) musste seinen Job als Verteidigungsminister abgeben, nachdem in seiner Doktorarbeit reihenweise Plagiate auftauchten.
Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan ist wieder ohne Doktortitel unterwegs. Aktuell droht Schavans Parteifreundin Ursula von der Leyen ein ähnliches Schicksal. Sie hatte 1991 ihren Doktorgrad an der Medizinischen Hochschule Hannover erworben. Plagiatsjäger, die sich auf der Internet-Seite „VroniPlag Wiki“ zusammengeschlossen haben, fanden nach eigenen Angaben auf 27 von 62 Seiten ihrer Doktorarbeit abschreibeverdächtige Stellen.
Wie aber wurde aus dem „Menschenräuber“ ein „Ideendieb“? Dass die Sache mit der Urheberschaft so ihre Tücken hat, war den Menschen schon vor Martials Wutausbruch bekannt. So berichtet der Architekt Vitruv von einem Vorfall, der sich im dritten vorchristlichen Jahrhundert in der Bibliothek von Alexandria zugetragen haben soll. Bei einem Dichterwettstreit flogen gleich mehrere Wortakrobaten wegen unerlaubter Textübernahmen auf und wurden als Diebe abgeurteilt. Ähnliche Fälle wurden jedoch nicht aktenkundig – der „Copyright“-Gedanke war wohl noch nicht sonderlich verbreitet.
Ob auch die Evangelisten Matthäus und Lukas von solcher Laxheit profitierten? Schließlich finden sich in beiden Evangelien Passagen, die sich mit der älteren Version des Textes von Markus decken. Die Synoptiker als Plagiatoren: Bei diesem Gedanken müssen Theologen schmunzeln. Den Evangelisten ging es um die Botschaft, nicht um den eigenen Namen. Dieser Gedanke gewann im Mittelalter die Oberhand, wie die Münsteraner Philologin Christel Meier-Staubach erläutert.
Der Verzicht auf Ruhm durch die Autorschaft geschah aus christlicher Demut, manchmal aber auch aus Kalkül, so die Spezialistin für die lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters. Hildegard von Bingen beispielsweise habe sich in ihren Schriften stets auf ihre von Gott empfangenen Visionen berufen. „Anders hätte sie damals als Frau nie Gehör gefunden.“ Die Wende brachte erst die Renaissance mit der Wiederentdeckung antiker Quellen und dem gestiegenen Selbstbewusstsein von Künstlern und Forschern. So machte der Maler Albrecht Dürer (1471-1528) seine Initialen zum Markenzeichen.
Kurz zuvor hatte der italienische Humanist Lorenzo Valla (1405/07-1457) den Plagiats-Begriff aus der Versenkung hervorgeholt – über ein Jahrtausend nach Martial. Kein Geringerer als Galileo Galilei (1564-1642) setzte das Thema schließlich auf die Agenda der Wissenschaft. In einer Anhörung reklamierte der Mathematiker die Erfindung des Proportionalzirkels für sich – und gewann gegen die Konkurrenz. Damals wie heute konnte ein Plagiatsvorwurf über Karrieren entscheiden.
Wie es bei der in die Defensive geratenen Verteidigungsministerin ausgeht, ist einstweilen noch offen. Das Prüfverfahren an ihrer Hochschule läuft. Die „Zeit“ zog einen Vergleich mit der Straßenverkehrsordnung. „Während Guttenberg im volltrunkenen Zustand Dutzende rote Ampeln überfuhr und Schavan ein paar Stopp- und Einbahnstraßenschilder ignorierte, hat Ursula von der Leyen zweimal im absoluten Halteverbot geparkt.“ Das Problem seien eher die laxen Qualitätsstandards bei medizinischen Promotionen. Eine Anfrage, die über den Einzelfall hinausweist.