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Wenn es an „emotionaler Nahrung“ fehlt

Eine neue Arbeitshilfe zur bindungsorientierten Pädagogik für die Kinder- und Jugendarbeit mit dem Titel „Ich sehe dich und bin für dich da!“ erläutert Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten, Konsequenzen sowie entsprechende Arbeitsmethoden

Die Fähigkeit, sich in der Gegenwart anderer Menschen sicher zu fühlen, ist wohl der wichtigste Aspekt menschlicher Gesundheit. Wir sprechen dann von Kontakt- und Beziehungsfähigkeit.
Die Grundlagen dazu werden in frühester Kindheit gelegt durch die Beziehung zu den Eltern oder Hauptbetreuungspersonen in den ersten 18 Monaten unseres Lebens. Durch Erfahrungen von Schutz und Sicherheit und Fürsorge.
Bindung ist die emo­tionale Nahrung, die uns am Leben erhält. Erkenntnisse darüber gehen auf John Bowlby zurück, der in den 1950er Jahren die Bindungstheorie entwickelt hat. Heute haben wir es in der Pädagogik mit einer Renaissance der Bindungstheorie zu tun.
Zugleich ist unsere Gesellschaft „bindungsfeindlicher“ denn je. Geschützte Familienzeiten werden weniger, Fremdbetreuung von Kleinkindern in Institutionen beginnt immer früher und die Zeiten der Fremdbetreuung werden länger – aus unterschiedlichen und nachvollziehbaren Gründen.
Die zunehmend geforderte Flexibilität lässt die Spielräume für bindungsorientiertes Handeln geringer werden. Umso wichtiger ist es, sie adäquat zu nutzen.
Kinder suchen bei Erwachsenen in ihrem Umfeld Schutz, Sicherheit und Fürsorge.

Bindungsfeindliche Gesellschaft

Sobald sie sich sicher fühlen, beginnen sie, die Welt zu erkunden, ihre Fähigkeiten zu erproben und sich neuen Aufgaben zu stellen. Werden sie dabei erschreckt, suchen sie erneut Schutz.
In diesem Wechsel zwischen Bindungssuche und Welterkundung entsteht Entwicklung. Wo das nicht gelingt, weil entweder der Schutz fehlt oder die Spielräume fehlen, kann es zu Schwierigkeiten kommen. Davon berichtet die Bindungstheorie.
Sabine Haupt-Scherer und Cornelia Lippegaus berichten in ihrer neuen Arbeitshilfe zur bindungsorientierten Pädagogik mit dem Titel „Ich sehe dich und bin für dich da!“ von diesen Schwierigkeiten. Und sie zeigen Wege auf, diese Kinder zu verstehen, sie angemessen in pädagogischen Kontexten zu begleiten und ihnen ergänzende und korrigierende Bindungserfahrungen zu ermöglichen.
Sie beschreiben, wie frühe Erfahrungen Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen erklären können, wie man angemessen damit umgehen kann und wie ergänzende oder korrigierende Bindungserfahrungen in pädagogischen Kontexten erworben werden können.
Die beiden Autorinnen eint die Überzeugung, dass bindungstheoretisches Basiswissen für Pädagoginnen und Pädagogen sowie für Ehrenamtliche notwendig ist.  Sie glauben, dass es die Chance erhöht, für Kinder und Jugendliche hilfreich zu sein und ihnen Raum für ihre Entwicklung zu geben.  Sie denken, dass es das Verständnis für schwierige Kinder und Jugendliche erhöht und dass es hilft, dort weniger enttäuscht und frustriert zu sein, wo der schnelle sichtbare Erfolg ausbleibt.

Konsequenzen für die Kinder- und Jugendarbeit

Bindungstheoretisches Wissen hat deshalb auch eine präventive Wirkung, was den Erhalt von Spaß und Motivation bei allen angeht, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig  sind. So geht es im zweiten Teil ganz praktisch um Methoden bindungsorientierter Arbeit und die Konsequenzen für Kinder- und Jugendarbeit, Gruppenarbeit und Freizeiten  und am Ende um die Frage, was Bindungsorientierung mit Religion, religiöser Sprache und Seelsorge zu tun hat angesichts dessen, dass Religion – verstanden als Ableitung von „re-ligare“ (lateinisch: zurückbinden) – nichts anderes als Rückbindung heißt.

 Die 78-seitige Arbeitshilfe ist gegen eine Schutzgebühr von sechs Euro (zuzüglich Versandkosten) beim Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen im Material-Shop zu beziehen: https://www.ev-jugend-westfalen.de/service/material-shop/.