Die Welt scheint aus den Fugen – und dann eine “Playlist zum Glück”? Ein neues Buch beleuchtet, welch unterschiedliche Songs trösten, erfreuen und anregen können – und erklärt, wie das funktioniert.
“Ironic” von Alanis Morissette oder doch “Human” von Rag’n’Bone Man? Kate Bushs “Symphony in Blue” oder eher Grönemeyers “Der Weg”? Welches dieser Lieder klingt nach Glück? Vielleicht keines, vielleicht alle vier?
Wie Menschen Musik wahrnehmen, ist sehr individuell. Die genannten Lieder finden sich auf der “Playlist zum Glück” von Michael Behrendt – so heißt das neue Buch des Popkultur-Experten, und auch im Netz ist die Playlist abrufbar. Das Buch solle durchaus Mut machen, eine eigene Sammlung zusammenzustellen, sagt der Autor: “Jeder hat so seine Lieblingslieder, die ihm oder ihr durchs Leben helfen.”
Dabei handle es sich eher selten um Lieder, die eine klare Glücksbotschaft formulieren – und auch nicht immer um “happy Tanzmusik”, hat Behrendt festgestellt. Er sei vielmehr über psychologische Ratschläge gestolpert, dass man in schwierigen Zeiten “positive Musik” auflegen solle. Vielen Leute helfe dann eher düstere Musik, “weil man vielleicht etwas braucht, das die eigene Stimmung ausdrückt und sogar verstärkt”. Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin das in Worte und Töne verpackt habe, was man selbst gerade empfinde, merke man, dass man trotz allem nicht allein sei.
Insofern diene die eigene Lieblingsmusik vielen Menschen als eine Art Lebensbegleiter. “Musik tröstet und löst Spannung auf”, sagt der Publizist. Er schreibt seit Jahrzehnten über Musik und auch über Songtexte, zuletzt in “Mein Herz hat Sonnenbrand”, das Lyrics sezierte, die unbeabsichtigt komisch sind, “schief” oder schlicht “irrwitzig”. Auch mit “Songs, die für Zündstoff sorg(!)ten” hat Behrendt sich schon befasst.
Spätestens seit der Corona-Krise herrschten “turbulente Zeiten, das lässt irgendwie nicht wieder nach”, erklärt er. Daher habe er sich gefragt, inwiefern Musik hilfreich sein könne – “und dann dachte ich, Mensch, eigentlich müsste es eine Playlist geben mit Songs, die auch harte Zeiten ein bisschen einfacher machen”.
So ist eine bunte Mischung entstanden: Manche der “99 1/2 Songs” greifen alte Weisheiten auf, naheliegenderweise zum Beispiel bei Literaturnobelpreisträger Bob Dylan: Dessen Stück “Do Right to Me Baby” (1979) greife die goldene Regel auf, Menschen so zu behandeln, wie man es sich für sich selbst wünsche, schreibt Behrendt. Im Kapitel “Resilienz” zitiert er unter anderen Amy MacDonalds’ zauberhafte Ballade “Left That Body Long Ago” (2012), den sie aus der Perspektive ihrer demenzkranken Großmutter singt. Und manche Tipps sind äußerst praktisch, etwa der von Taylor Swift, Gerede von anderen einfach abzuschütteln: “Shake It Off” (2014).
Je nach eigenem Musikgeschmack entdeckt manche Leserin sicher etwas Neues, und manchem Leser geht womöglich ein Licht über ein altbekanntes Lied auf – denn viele Menschen achten wenig auf die Texte von Musikstücken. Das gelte auch für Songs in der eigenen Muttersprache, sagt Behrendt: “Für viele ist Musik eher ein Hintergrundrauschen oder Unterhaltung.”
Studien haben gezeigt, dass das Hören der Lieblingsmusik sogar das Schmerzempfinden verringert. Musik sei immer schon zur “Heilung, Linderung und Begleitung” eingesetzt worden, sagt die Musiktherapeutin Kordula Voss. Sie sei “in gewisser Weise etwas Archaisches” – und genau darauf könnten Menschen, die trauerten oder schwer erkrankten, zurückgreifen. “Der Teil des Gehirns, in dem Musik gespeichert ist, ist in vielen Fällen noch ansprechbar, auch wenn Menschen auf Sprache nicht mehr reagieren.”
Von Gute-Laune-Hits kann man also schnell zum “Eingemachten” kommen – und das war auch Behrendts Absicht, wie er sagt: “Wenn man schon von Lebensratschlägen spricht, gehört es dazu, in die Tiefe zu gehen.” Ihn selbst, so verrät er, hat das Lied “Ruh” (2022) von der österreichischen Band Oehl bei den Recherchen besonders berührt: “Es geht um Tod und Trauer, und die Mischung aus Zuversicht und Melancholie ist unglaublich.” Urmenschliche Themen – da möchte man einen Songtitel der Rockmusiker von Aerosmith zitieren: just push “play”!