Predigttext am 17. Sonntag nach Trinitatis: Matthäus 15, 21-28
(…) 22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. 23 Und er antwortete ihr kein Wort. (…) 25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! 26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. 28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde. (in Auswahl)
Jesus ist im Gebiet von Tyrus und Sidon. Dort, wo man ihn kaum erwartet hätte. Dort, wo man ihn nicht suchen würde. Dort, wo er nicht hingehört. Eigentlich. Kein jüdischer Mann setzt seinen Fuß leichtfertig auf heidnisches Gebiet. Er würde sich verunreinigen.
Aber Jesus hat keine Berührungsängste.
Und trotzdem. Als diese Frau kommt und ihm verzweifelt zuruft, er möge doch bitte ihre Tochter gesund machen, zögert er. Ist er auch für sie da? Ist er auch ihr Heilmacher und Heilbringer? Ihr Heiland? Liegt das im Rahmen seiner himmlischen Beauftragung? Gehört es zu seinen Kernkompetenzen?
Jesus schweigt. Die Frau gibt keine Ruhe
Er zögert und schweigt. Doch die Frau gibt keine Ruhe. Schließlich drängen die Jünger, er solle ihr endlich den Mund verbieten. Sie wegschicken. Oder ihr – in Gottes Namen! – den Wunsch erfüllen. Damit sie still ist. Und damit der allgemeine Aufruhr, den sie verursacht, endlich ein Ende hat.
Und auf einmal redet er. Zur Frau. Zu den Jüngern. Zu allen, die ihn umringen. Und was er sagt, ist erschreckend ernüchternd. „Nein, ich bin für Gottes auserwähltes Volk da, für die Juden. Zu ihnen hat mich der Vater im Himmel geschickt. Tut mir leid.“
Da wirft sich die Frau vor Jesus nieder und beginnt mit ihm zu feilschen. Sie, die heidnische Frau, diskutiert mit ihm, dem jüdischen Rabbiner. Eine ganz und gar unmögliche Situation. Den Jüngern schwillt der Kamm. Doch Jesus hört ihr zu, lässt sich auf sie ein, lässt sich überreden. Weil er beeindruckt ist von ihrer Verzweiflung und von ihrem Vertrauen.
Und zum ersten Mal wird deutlich: Jesus ist nicht nur für die einen gekommen, sondern auch für die anderen. Nicht nur für die Juden, sondern auch für die Heiden. Nicht nur für die Frommen, sondern auch für die Unfrommen. Den Jüngern wird es klar, den Menschen in Tyrus und Sidon. Vielleicht sogar Jesus selbst.
Dieses Heilungswunder ist ein Wendepunkt in Gottes Geschichte mit den Menschen.
Zum Glück. Zu unserem Glück. Denn seitdem gilt es uneingeschränkt: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Johannes 3, 16)
Die Welt. Was heißt: Er ist immer auch bei denen, bei denen man ihn nicht vermutet. Bei den Übersehenen und Übervorteilten, bei den Ausgegrenzten und Ausgestoßenen. Bei denen, die wissen, dass sie auf Gnade und Barmherzigkeit angewiesen sind, weil sie weder bei Menschen noch bei Gott mit Selbstgerechtigkeit punkten können. Er ist bei den Sündern, die sich nach Gott sehnen.
Und wir, die wir uns nach ihm nennen, wollen dort auch sein.
Himmel geht auf – nicht nur zum Teil
Im Musical „Noch einmal Kapernaum“ lasse ich die Jünger – im Rückblick – das folgende Lied singen:
„Er war unser Freund, für uns war er da. Ein Jude für Juden, durch den Gott nach uns sah.
War einer von uns, wir waren wie er, um uns hier zu helfen, kam er zu uns her.
Wir waren das Volk, er war unser Held. Ein Helfer, ein Heiler, von Gott herbestellt.
Den Alten war klar: Das Heil kommt zurück. Messias der Juden und Israels Glück.
Und dann diese Frau, nein, keine von uns! Und kein Kandidat für göttliche Gunst.
Sie hat dich berührt, das war ärgerlich. Doch ihr Kind wurde frei, denn sie glaubte an dich.
Und uns wurde klar: Wir glaubten zu klein. Wir sperren dich nicht länger in unsere Welt ein.
Der Himmel geht auf und nicht nur zum Teil, der Messias für alle bringt der ganzen Welt Heil.
Wir teilen dich, Herr. Wir geben dich frei und werden nicht arm, sondern reicher dabei.
Wir tragen dein Wort in jede Nation und wissen es längst: Du wartest dort schon.“