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Weltstar mit Heimweh

Antonín Dvorák – vor 175 Jahren geboren – prägte die tschechische Musik und begeisterte die Menschen. Von allen Künstlern seiner Epoche unterscheidet ihn die Universalität seines Schaffens

Den „böhmischen Musikanten“ nennt man ihn immer noch freundlich-abschätzig – wegen seiner schmelzenden Melodien und eingängigen Themen. Dabei ist sich die Fachwelt längst einig, dass Antonín Leopold Dvo­rák (1841-1904) das kompositorische Handwerk perfekt beherrschte. Vor 175 Jahren, am 8. September 1841, wurde er im Dörfchen Nelahozeves an der Moldau geboren, nicht weit von Prag.

Aus einer Familie von Gastwirten und Fleischern

In einer Umbruchzeit, als die Tschechen um die Emanzipation ihrer Kultur von der jahrhundertelangen Dominanz der Habsburger und der deutschen Sprache kämpften, prägte er die junge tschechische Musik entscheidend mit – aber auf seine sehr individuelle, schöpferische Weise.
Von allen Künstlern seiner Epoche unterscheidet er sich durch die Universalität seines Schaffens: Johannes Brahms konnte mit der Oper nichts anfangen und Peter Tschaikowsky ebenso wenig mit der Kirchenmusik, Georges Bizet interessierte sich nicht für das symphonische Genre. Dvoráks größter Konkurrent um die Gunst der tschechischen Musikliebhaber, Bedrich Smetana, schrieb kaum Kammermusik und keine einzige Symphonie. Dvorák aber beherrschte – und liebte – alle Gattungen.
„Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle“, staunte sein acht Jahre älterer Freund Johannes Brahms. „Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben.“
Er kommt aus einer Familie von Gastwirten und Fleischern, die gleichzeitig sehr musikalisch war. Antonín lernte bei seinem Onkel im nahe gelegenen Städtchen Zlonice dreierlei: das Fleischerhandwerk, eine gute deutsche Aussprache und – an der deutschen Fortbildungsschule – Musiktheorie, Klavier, Orgel und Bratsche.
Mit 16 ging er an die angesehene Prager Orgelschule und absolvierte sie als Zweitbester. Als Bratschist tingelte er durch Gastwirtschaften und hatte kaum genug zum Leben, auch nicht, als er ans Orchester eines kleinen Theaters engagiert wurde. Er komponierte an geliehenen Klavieren, spielte Orgel in der St. Adalberts-Kirche – und erwarb sich erst sehr spät die Anerkennung der musikalischen Welt.
Den Durchbruch brachte ihm das etwas schwülstig patriotische Chorwerk „Hymnus“. Es beklagte die tschechische Niederlage gegen die Habsburger am Weißen Berg 1620 und war kaum aufzuführen, weil es einen Riesenchor von 300 Stimmen verlangte.
Sein „Stabat Mater“ (siehe Kasten) – ähnlich voluminös angelegt und eineinhalb Stunden dauernd – führte der britische Dirigent Sir Joseph Barnby 1883 in London auf. Bald feierte ihn ganz England. Ein Jahr später dirigierte Dvo­rák in der Londoner St. James Hall neue Werke, man bejubelte ihn bei den Musikfesten in Worcester, Birmingham, Leeds.
Wieder daheim in Böhmen schrieb er sogleich gewichtige Symphonien und das ziemlich persönlich gehaltene, tschechische Musiktraditionen aufnehmende „Requiem“. Widerwillig ließ er sich dazu bewegen, die Leitung der „Kompositionsschule“ am Prager Konservatorium zu übernehmen, stand aber mit dem Stundenplan ständig auf Kriegsfuß. An seine Schüler stellte er zuweilen unerfüllbar hohe Ansprüche – sie verehrten ihn trotzdem.

Seine Musik „ist und bleibt immer tschechisch“

1892 kam das Angebot aus New York, dort am Konservatorium zu unterrichten und Konzerte zu geben. Hier entstand seine berühmteste Symphonie „Aus der Neuen Welt“ – den Titel schrieb er in einem spontanen Entschluss erst auf die Partitur, als das Werk längst fertig war. Er hat darin zwar „amerikanische“ Themen aufgenommen wie gleich im ersten Satz das alte Spiritual „Swing Low, Sweet Chariot“. Aber auch diese Symphonie „ist und bleibt immer tschechische Musik“, stellte er klar. Sein Heimweh konnte er am Ende nicht mehr bezähmen, er trat 1895 vorzeitig die Rückfahrt an.
In Prag gelang ihm mit dem Märchen von der Wassernixe „Rusalka“ – und von dem bedrohlichen Einbruch der unberechenbaren Natur in die Menschenwelt – 1901 endlich eine Oper, die ein brauchbares Libretto mit farbiger Orchestrierung, einprägsamen Leitmotiven und suggestiver Naturpoesie verband. Bis zum Jahr 1956 wurde die „Rusalka“ 800 Mal am Prager Nationaltheater gespielt.
Im Frühjahr 1904 fühlte sich Dvorák zum ersten Mal in seinem Leben krank. Am 1. Mai starb er in seiner Prager Wohnung an einem Gehirnschlag. Zehntausende säumten die Straßen, als man ihn auf dem Prager Vysehrad beerdigte, wo die großen Tschechen begraben sind.