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Wege aus der Sucht

Eine Sucht nicht wahrhaben zu wollen gehört zum Krankheitsbild eines Abhängigen. Umso wichtiger sind da aufmerksame Angehörige. Suchtberater geben Tipps, woran Angehörige eine Abhängigkeit erkennen, welche Fehler sie vermeiden sollten und wie sie helfen können

Markus Bormann - Fotolia

Ständig hängt der Sohn am Smartphone, verdächtig oft kommt der Ehemann mit einer Fahne vom „Sport“. Die Tochter braucht ihre Jeans schon wieder eine Nummer kleiner, und Mama frühstückt seit einiger Zeit nur Zigaretten. Vier Beobachtungen über das Verhalten von Familienmitgliedern, die Grund zur Sorge sein können – aber nicht müssen. Denn längst nicht alles außerhalb der Norm ist eine Sucht oder führt dorthin. Dennoch kann gerade für Gefährdete das wachsame Auge besorgter Menschen wichtig sein.  

Verdrängung der Sucht gehört zur Krankheit

„Sucht zu verdrängen und nicht wahrhaben zu wollen gehört zum Krankheitsbild“, erklärt Knut Kiepe, Sozialarbeiter vom Gesamtverband für Suchthilfe, einem Verband der Diakonie. Aus Scham, Angst oder Leistungsdruck können sich Abhängige ihr Problem oft nicht eingestehen. Für eine Ersteinschätzung gibt es mittlerweile zahlreiche Kriterienkataloge und Tests. Außerdem können zwei Fragen Angehörigen helfen. Erstens: Was passiert, wenn das Suchtmittel nicht vorhanden ist? Wird der Betroffene unruhig und versucht, es sich wieder zu beschaffen? Das kann ein Hinweis darauf sein, dass jemand süchtig ist, beschreibt Andreas Bosch, Vorsitzender der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe Bundesverband.
Die zweite Frage bezieht sich auf den Kontrollverlust: Ist derjenige noch in der Lage, sein Leben zu meistern? Zur Schule oder Arbeit zu gehen, Freunde zu treffen, Hobbys zu pflegen? „Abhängige richten ihr Leben nach der Droge“, sagt Kiepe. Lässt sich ein Verdacht nicht ausräumen, rät Bosch, die Beobachtungen offen anzusprechen. „Es kann sein, dass die Süchtigen alles abstreiten, es kann aber auch sein, dass sie ins Nachdenken kommen und einer Behandlung zustimmen“, sagt er. Angehörige sollten sich zügig an eine Beratungsstelle oder Sucht-Selbsthilfegruppe wenden.
Typische Fehler im Umgang mit Suchtkranken passieren sonst schnell. Der schlimmste ist, wenn sich Angehörige nicht für den übermäßigen Konsum interessieren oder ihn als willkommenen „Ruhigsteller“ von Partner oder Kind betrachten, sagt Kiepe. Auch das andere Extrem sei falsch: Wenn etwa Eltern Jugendlichen die Smartphone-Nutzung komplett verbieten. „Oft machen Angehörige aus Sorge vor den Konsequenzen genau das Falsche“, sagt Bosch. So bringt die Ehefrau dem Alkoholiker den Schnaps vom Einkaufen mit und verhindert, dass er selbst raus muss und sich seiner Sucht stellt. Eltern liefern dem jugendlichen PC-Zocker das Essen an den Schreibtisch, sodass er seine Spielhölle nicht mehr verlässt. „Diese Form der ,Unterstützung‘ entwickelt sich schleichend“, beschreibt Kiepe.  
Kontraproduktiv ist auch, wenn Angehörige Alkohol- oder Tablettenvorräte einfach wegkippen. Das schüre nur Wut und zerstöre Vertrauen. Damit hört die Sucht nicht auf, und die Folgen der Entzugserscheinungen sind nicht abzuschätzen, sagt Bosch. Je nachdem, wie groß die Abhängigkeit ist, könne es sogar lebensbedrohlich sein, dem Abhängigen seinen „Stoff“ radikal zu entziehen. Wer Konsequenzen androht, muss sie auch wahr machen. Sonst hat ein Süchtiger wenig Grund, sein Verhalten zu ändern.
Wie können Angehörige helfen? Die Möglichkeiten sind begrenzt. Sie können das Thema vorsichtig ansprechen oder das Infoblatt einer Beratungsstelle „wie zufällig“ liegen lassen. Doch ohne die Einsicht, abhängig zu sein und Hilfe zu brauchen, gibt es wenig Chancen. Einer der wenigen Schlüssel, die Angehörige haben können, ist das Vertrauen des Betroffenen. Kiepe empfiehlt daher, „Hilfe für den Fall, dass“ anzubieten, aber nie aufzuzwingen.
Statt Bevormundung hilft bisweilen das Gegenteil. Manchmal besinnt sich jemand gerade dann, wenn die Angehörigen auf Distanz gehen, er auf die Schnauze fliegt und allein ist. „In Liebe loslassen“, nennen das die Anonymen Alkoholiker. Wenn sich ein Angehöriger zu diesem Schritt entschließt, sollte er sich unbedingt Unterstützung bei einer Beratungsstelle holen.

Den Angehörigen „in Liebe loslassen“

Oft nehmen Angehörige zu viel auf sich. „Sie ertragen Situationen länger als ihnen guttut“, sagt Bosch. Manchmal kommt es sogar zur Ko-Abhängigkeit. „Wenn Angehörige sich nach demselben Muster wie der Suchtkranke von der Sucht ihr Leben strukturieren lassen, ist eine Grenze erreicht“, erklärt Kiepe.
Schließlich, betont Bosch, ist wichtig, dass Angehörige die richtige Haltung dem Abhängigen gegenüber finden. „Süchtige sind normale Menschen, und auch sie müssen die Verantwortung für ihr Verhalten selbst tragen“, sagt er. Wenn sie erkennen, dass nur sie selbst etwas verändern können, kann ihr Weg aus der Sucht klappen.

Diesen Artikel in voller Länge und viele weitere Beiträge zum Thema Sucht finden Sie im neuen UK-Thema-Heft (siehe auch Seite 9 unten).