Fast hätte es auch beim dritten Anlauf nicht geklappt mit dem Treffen. Am Morgen hatte sich wieder eine Erzieherin krankgemeldet, und eigentlich hätte Cornelia Waga jetzt ihren Platz in der Gruppe übernehmen müssen. „Aber wenn ich auf einen Tag warten soll, an dem alle Mitarbeiterinnen da sind, würden wir nie zusammenkommen“, sagt die Leiterin der evangelischen Matthäus-Kita in Hagen.
Und damit ist sie schon mitten drin im Thema: Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen leiden seit der Einführung des Kinderbildungsgesetzes, kurz KiBiz, an chronischer Unterfinanzierung: zu wenig Personal, zu wenig Platz für die ständig wachsenden Aufgaben, zu wenig Zeit, um den Kindern, den Eltern und noch dazu der Bürokratie gleichermaßen gerecht zu werden. „Meine Mitarbeiterinnen arbeiten am Limit“, sagt Waga.
Erzieherinnen arbeiten am Limit
Ein Problem, das im System liegt: Das KiBiz hat die steigenden Löhne der Erzieherinnen bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Jede Tariferhöhung führt damit zu einer finanziellen Unterdeckung für die Träger. Das gleiche gilt für notwendige Umbaumaßnahmen, etwa für Ess- oder Schlafräume – in der Matthäus-Kita muss in vier Schichten gegessen werden, für eine andere Lösung reicht der Platz nicht. Also wird gespart, wo es nur geht – sonst kann eine Kirchengemeinde oder, wie im Fall der Matthäus-Kita, ein Kirchenkreis-Verbund, eine Kita nicht halten.
Das spüren die Mitarbeiterinnen, aber natürlich auch die Kinder. „Früher hieß es: Das Beste für ein Kind ist eine feste Bezugsperson“, sagt Waga im Rückblick auf 37 Jahre Berufserfahrung. Mittlerweile geht es nicht mehr ohne Kurzzeitverträge für ein Jahr oder einen noch kürzeren Zeitraum. Für die Gruppen heißt das ein ständiger Wechsel, den die Kinder verkraften müssen und der die Kolleginnen durch die Einarbeitungszeit zusätzlich belastet.
Auch das hängt mit dem KiBiz zusammen: Durch unterschiedliche Betreuungszeiten, die die Eltern buchen können, muss die Kita ihren Personalbestand ständig neu anpassen. „Das bringt viel Unruhe hinein“, sagt Waga. Allerdings bemerkt sie auch positive Aspekte: „Unsere Kinder sind kontaktfreudig und stellen sich schnell auf neue Situationen ein.“
Nicht nur bei der Arbeitszeit wird von Erzieherinnen viel Flexibilität erwartet. Ihr Alltag besteht bei Weitem nicht nur aus Kinderbetreuung: Da sind die Fortbildungen in der Bereichen Bewegung und Ernährung, mit denen die Matthäus-Kita ihr Profil sicherstellt. Da sind Elternaktionen, ohne die zum Beispiel der große Garten der Kita nicht in Schuss gehalten werden kann. Dazu kommt die gesetzliche Verpflichtung, den Entwicklungsstand jedes Kindes ständig zu dokumentieren.
Und dann gibt es noch die Beratungsgespräche, die von den Eltern nach Wagas Beobachtung jetzt häufiger eingefordert werden als früher. Sie selbst hat mindestens fünf Gespräche sei Jahresbeginn geführt – von ganz kurz bis „lang und tränenreich“. „Ich glaube, die Eltern beobachten ihre Kinder genauer, sind aber auch stärker verunsichert“, sagt die Kita-Leiterin. „Manchen fehlt das Gefühl: Das ist richtig, was ich mache.“
Gespräche werden von Eltern gefordert
Wagas Mitarbeiterinnen und sie selbst versuchen bei Bedarf, mit den Eltern gemeinsam nach individuellen Lösungen zu suchen. Zum Beispiel für das Toilettentraining, das die kleineren Kinder ja inzwischen zum Teil in der Kita absolvieren. Oder bei Fragen der Ernährung. Alles im Rahmen der Möglichkeiten – in Gruppen mit 20 bis 25 Kindern muss vieles auch einfach laufen.
Es ist ein ständiges Jonglieren mit Stunden und Arbeitskräften, das Kita-Träger und Kita-Leitung leisten müssen. Eine bessere finanzielle Absicherung durch das KiBiz würde manches erleichtern. Waga hofft darauf, dass diese Aspekte in weiteren Verhandlungen berücksichtigt werden. „Für uns sind Kinder das höchste Gut“, sagt sie. „Das leben wir hier. Die Frage ist allerdings: Was sind uns als Gesellschaft unsere Kinder wert?“