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Was hat sie, das ich nicht habe?

Beim Theater finden sich viele Figuren, die mit dem Neid kämpfen – der sechsten Todsünde. Doch auch Schauspieler sind nicht davor gefeit und ringen miteinander um eine knappe Ressource namens Aufmerksamkeit.

Wer sich der Öffentlichkeit präsentiert, braucht eine Prise Eitelkeit. Dabei fällt der Blick auch auf die andere, den anderen, der vielleicht mehr Applaus bekommt, die wichtigere Rolle, mehr Geld, bessere Kritiken. Gehört Neid zum Geschäft?
Einen Artikel über Neid und Eifersucht aus Sicht einer Schauspielerin? „Vor oder hinter der Bühne?“, frag ich mich da. „… kommt, ihr Geister, die ihr lauscht auf Mordgedanken und entweibt mich hier. Füllt mich vom Scheitel bis zur Zeh’ randvoll, mit wilder Grausamkeit.“

Auf der Bühne: je abgründiger, desto besser

Was wäre das Theater ohne Shakespeare und was wären Shakespeares Dramen ohne verschlagene und hundsgemeine Intrigen. Und was wären diese Intrigen ohne die mit ihrem Schicksal hadernden Figuren voller Neid und Eifersucht. Herrlich, die abgründigen Beschwörungen und Flüche, die Shakespeare all diesen Figuren im Kampf um Macht und Vorteile mit auf den Weg gibt.
Das bringt mein Schauspielerblut in Wallung. Im Blankvers werden Neid und Missgunst dem geneigten Publikum aufs Mitreißendste vorgelebt. Da packt es nicht nur die Zuschauer. Nein, da geht auch auf der Bühne die Post ab. Je abgründiger, desto besser. Sich in eine so gallig-giftige Regung wie Neid hineinzuspielen ist einfach spannend. Das darf auch gerne bis hin zur Meuchelei und Todsünde gehen. „Ist ja alles nur Theater!“
Invidia – Neid und Eifersucht, die sechste Todsünde – das ist ein Thema, wie eine Steilvorlage für alle Rampensäue. Denn nicht nur auf der Bühne, sondern auch hinter den Brettern, die die Welt bedeuten, geht es weiß Gott nicht harmlos zu. Konkurrenz in den Soffitten, in den Kulissen, das gehört dazu. Allerdings finden sich Neid und Eifersucht hier nicht als Ausdruck ruchloser und zerstörerischer Niedertracht wieder. Und somit erlaube ich mir gleich mal, diese Laster hinter der Bühne vom Verdacht der Todsünde freizusprechen.

Neid ist das Resultat eines harten Wettstreits

Neid unter Schauspielern ist meist das Resultat eines harten Wettstreits. In diesem Wettstreit geht es um eine knappe Ressource, die Aufmerksamkeit heißt. Denn Aufmerksamkeit ist für alle, die auf der Bühne oder vor der Kamera stehen, ein höchst erstrebenswertes Gut.
Wer will schon auf dem Aufmerksamkeitsfriedhof landen? Kein Mittel bleibt unversucht, um ein wenig mehr im Rampen- oder Scheinwerferlicht zu stehen. Da werden die Kollegen mit allerlei Mätzchen aus dem Konzept gebracht, es werden Sätze gezählt, um Bildanteile gekämpft und mit der Regie fraternisiert.

Solch ein Wettstreit beruht zweifelsohne darauf, dass man sich mit den anderen vergleicht. In der Welt von Dramen, Spektakel und Klamauk sind die Vergleiche unmittelbar und direkt. Rivalitäten sind hier in den wenigsten Fällen geschlechterübergreifend angelegt, denn ganz selten nur schnappt ein Mann einer Frau die begehrte Rolle weg. Hier vergleichen sich Gleiche mit Gleichen.

Ich war zu Castings geladen, da saßen bei meiner Ankunft zu meiner Verblüffung lauter Kolleginnen, die exakt derselbe Typ waren wie ich: klein, dunkelhaarig, im selben Alter und mit ähnlicher Berufserfahrung. Bemerkenswert dabei war, dass die Konkurrenz unter Gleichen schonungsloser ist. Neid und Eifersucht sind ganz schnell im Spiel, wenn sich die Bewerberinnen so ähneln wie wir damals bei diesem Casting. Denn verständlicherweise hat sich jede, die am Ende der Audition leer ausgegangen ist, gefragt: warum die und nicht ich?
Ja, ich weiß, es heißt so schön auf Kölsch: „Mer muss och jünne könne.“ Und neidisch zu sein ist wirklich das Allerletzte, was man sich nachsagen lassen will. Aber in einer Branche, in der man selbst das Produkt seines Wirkens ist, wird auch jede Ablehnung schnell persönlich. Schauspieler werden ständig beurteilt, das macht dünnhäutig.

Sich ein dickes Fell wachsen zu lassen, hilft nicht. Denn Schauspielerinnen und Schauspieler müssen empfindsam bleiben, um berühren zu können. Ganz oft stehen also die Kolleginnen und Kollegen auf vergleichsweise dünnem Eis und ringen um diese knappe Ressource Aufmerksamkeit. Ein jeder ruft dann: „Hierher, ihr Auge auf mich!“ Es ist doch irgendwie auch sympathisch, dass jede und jeder gefallen will. Und nicht nur das. Dieses Ringen um Aufmerksamkeit kann ja sogar amüsant und unterhaltsam sein.
Ob diese Beifalls-Olympiade letztlich auch die schauspielerische Leistung verbessert, halte ich für fraglich. Oftmals entsteht große Schauspielerei gerade in Momenten ohne Druck. Aber solange Neid und Eifersucht unter Kolleginnen und Kollegen nicht zum Dauerzustand werden, belebt diese Verderbnis durchaus das Geschäft.

Sieht man im Anderen allerdings immer nur die Konkurrentin, den Konkurrenten, dann verliert sich der Blick für das Ganze. Denn in jedem Film und in jeder Inszenierung gibt es eine Geschichte, die erzählt werden will. Und die ist von Belang. Um diese Geschichte zu erzählen, gibt es Figuren, die sie transportieren: Protagonisten, Antagonisten, Nebenfiguren und eben auch Figuren, die nur eine dramaturgische Funktion zu erfüllen haben.

Sich als einen Teil der Inszenierung begreifen

Das Volk spielt nun mal den König und nicht umgekehrt. Natürlich möchte jeder gerne König sein. Aber ist es nicht auch befreiend, mal einen Schritt zurückzutreten und das Ganze aus ein wenig Distanz zu betrachten? Sich zu fragen, muss ich mir das wirklich antun? Muss ich mich hier und jetzt auf diese dünne Eisfläche werfen? Laut um Aufmerksamkeit rufen oder beleidigt in der Ecke stehen und die Übergangene mimen?

Oder kann es sich nicht auch ganz gut anfühlen, wenn ich mich als einen Teil der Inszenierung begreife und gemeinsam mit allen anderen an einem Strang ziehe. Und mit den anderen meine ich nicht nur die Kollegen auf der Bühne oder vor der Kamera. Das schließt alle anderen Gewerke mit ein, die daran beteiligt sind, dass ein Theaterabend oder ein Film gelingt: die Bühnentechnik, die Inspizienz, die Produktion, die Beleuchtungsabteilung, die Kostümabteilung, die Absperrer am Set, die Tonleute, die Garderober, die Aufnahmeleitung, die Jungs und Mädels vom Catering, der Schneideraum und viele, viele mehr.

Ist es eine tragende Figur oder eine dienende?

Auf all die ist kein Schauspieler und keine Schauspielerin neidisch. Im Gegenteil: Es ist schön, dass sie alle dabei sind. Alle gehören zum Team.
Und was das eigene Gewerk betrifft, verhält es sich so: Manchmal reicht schon ein nüchterner Blick ins Drehbuch oder in die Textfassung, um zu erkennen, um welche Art von Rolle es sich diesmal handelt. Ist es eine tragende Figur, oder eher eine dienende? Und mit dieser Erkenntnis lässt sich dann meist der ungebremste Darstellungswillen in halbwegs reflektierte Bahnen leiten.