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Was auf der Zunge liegt

Über den Predigttext zum 9. Sonntag nach Trinitatis: Jeremia 1, 4-10

Ljupco Smokovski - stock.adobe.c

Predigttext
4 Und des Herrn Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. 7 Der Herr sprach aber zu mir: Sage nicht: „Ich bin zu jung“, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr. 9 Und der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Ich interessiere mich sehr für Politik, ich mag den politischen Diskurs und bin Freund eines engagierten Streitgesprächs. Die aktuelle Form der politischen Debatte lässt mich jedoch manchmal verzweifeln. Politiker unterschiedlicher Couleur begegnen mir mit ihren Statements. Und irgendwie scheint es, dass allabendlich die gleichen Formulierungen auf mich einwirken. In formgegossenen Aussagen, wenig präzise und manchmal meilenweit an der jeweiligen Fragestellung vorbei.
Ich spüre, wie mich das ermüdet, wie ich innerlich aus der Diskussion auszusteigen drohe. Dabei bin ich interessiert an Antworten, auch in dem Bewusstsein, dass es auf komplexe Herausforderungen keine leichten Antworten gibt. Ich sehne mich nach einer lebendigen Debatte, mit Akteuren, die mir eine Vielzahl von (neuen) Perspektiven eröffnen. Ich sehne mich nach einem breiten Meinungsbild, in dem auch die zu Wort kommen, deren Stimme oftmals überhört wird.
Der Prophet Jeremia war auch einer, der kaum zu Wort kam. Nicht weil er nichts zu sagen hatte, vielmehr weil er selbst an seinen rhetorischen Fähigkeiten, an seiner Durchsetzungskraft zweifelte. „Ach Herr, ich bin zu jung, ich tauge nicht zum Predigen“ entgegnete er Gott, als der ihn zum Propheten bestellte. Vermutlich waren Jeremias Zweifel darin begründet, dass er ahnte, er würde es als Prophet schwer haben.
In einer Situation des Umbruchs, einer politisch stürmischen Zeit, in der nicht weniger als die Zerstörung Israels drohte, beruft Gott Jeremia zum Propheten. Und dieser Aufgabe fühlt er sich, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht gewachsen. Er, der doch so jung, unerfahren und ungeübt ist, soll Gottes Wort predigen, die Menschen zur Umkehr bewegen. Wird er neben den anderen Rädelsführern Gehör finden? Wird man ihn ernst nehmen oder eher als jugendlich-naiv ignorieren? Dass Jeremia angesichts der Herausforderung zunächst kalte Füße bekommt, leuchtet mir ein.
Gott nimmt Jeremias Selbstzweifel wahr. Er spricht zu ihm: „Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten.“ Und er streckt Jeremia seine Hand aus, rührt seinen Mund. Gotte meint es ernst mit dem zweifelnden Jeremia. Er erwartet nichts Geringeres, als dass dieser junge Prophet die Menschen anspricht. Keiner der altbekannten Rädelsführer ist berufen, sondern ein Newcomer. Jemand, der eine neue Perspektive eröffnet, der den Horizont erweitert. Jemand wie Jeremia, der andere Töne anschlägt, der aber vor allem mit seinen Inhalten die Diskussion bereichert.
Wenn wir einen Blick auf unsere innerkirchlichen Diskussions- und Entscheidungsprozesse werfen, wo haben dort die sogenannten Newcomer ihren Platz? Finden in unseren Auseinandersetzungen auch die Gehör, die sonst eher zurückhaltend sind? Sind unsere kirchlichen Strukturen so ausgestaltet, dass eine breite Beteiligung möglich ist? Im vergangenen Herbst hat in der Lippischen Landeskirche die Jugendsynode getagt. Jugendliche, Newcomer unserer Kirche, sind mit Verantwortungsträgern im Gespräch.
Vieles liegt ihnen am Herzen und auf der Zunge. Ganz besonders die Frage der Beteiligung. Jugendliche sehen sich in vielen Entscheidungsgremien unterrepräsentiert. Sie wollen sich an Entscheidungsprozessen unserer Kirche beteiligen, sie wollen sich mit ihrem Blick, mit ihrer Kompetenz einbringen. Sie wollen aktiv mitgestalten. Ich finde die Forderung der Jugendlichen nach einem Stimmrecht in Leitungsgremien unserer Kirche mutig, aber auch unverzichtbar. Die Herausforderungen, denen wir aktuell begegnen, sind so komplex, dass der Verzicht auf die Expertise junger Menschen geradezu fahrlässig wäre.
Lasst uns die Jugendlichen freundlich empfangen, zum Diskutieren, Streiten, Entwickeln, zum Zukunft und aber auch Gegenwart gestalten. In dem Vertrauen, dass uns mancher Prophet in unscheinbarer, unerwarteter Gestalt begegnet.