Daniel Claßen und seine vierjährige Tochter basteln gemeinsam an einem Drachen. Sie tun dies am Vater-Kind-Tag in einem evangelischen Familienzentrum. Es ist für beide ein besonderer Moment, denn der 40-Jährige hat einen fordernden Vollzeitjob. Viel zu selten hat er Zeit für seine beiden Kinder. So ist es nicht verwunderlich, dass die Sprösslinge eine intensivere Beziehung zu ihrer Mutter aufbauen. Das ist für den Familienvater zwar kein Weltuntergang. Dennoch wünscht er sich, mehr für seine Kinder da sein zu können.
Dietmar Fleischer ist Koordinator der Vater-Kind-Agentur, die pro Jahr rund 110 Werkstatttage und Wochenendseminare für Väter und ihre Kinder anbietet. Getragen wird die Initiative von der westfälischen und rheinischen Landeskirche. Fleischer beobachte, dass Väter oft das Gefühl haben, im Familienleben etwas zu verpassen. Durch die starke berufliche Belastung „bekommen sie wichtige Etappen in der Entwicklung ihrer Kinder nicht mit“, sagt der Pädagoge in der aktuellen Ausgabe des evangelischen Elternmagazins Zehn14. Es beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Bedeutung von Vätern für ihre Kinder. Die harte Wahrheit sei: Abwesende Väter können keine intensive Bindung zu ihren Kindern aufbauen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die steigenden Trennungs- und Scheidungsraten die Kinder meist bei der Mutter aufwachsen. So sehen die Kinder den Vater – wenn überhaupt – nur zu den verabredeten Zeiten.
Fleischer ist davon überzeugt: Das eigene Nachdenken darüber, warum ein Kind seinen Vater braucht, ist von großer Bedeutung. So lädt die Vater-Kind-Agentur immer wieder Fachleute wie Matthias Franz zu Vorträgen ein. Der Professor für psychosomatische Medizin und Psychotherapie gilt als eine Instanz auf dem noch jungen Gebiet der Väterforschung, heißt es im Elternmagazin.
Dabei ist das geschichtliche Erbe bedeutsam. „Das Vaterbild speziell in Deutschland ist seit hundert Jahren ein schwieriges“, sagt Franz. Es gab ängstigende und sogar aggressive Ausprägungen im Vaterbild und das schwierige Verhältnis zum Vater, das durch die beiden Weltkriege geprägt wurde. Heute sei es „eine ,Vaterentbehrung‘ – aufgrund von Trennung, Scheidung“ und der starken Fixierung auf den Beruf.
Das hat Folgen, die sich schon in früher Kindheit auswirken, so Franz. Die Bindungsforschung habe gezeigt, „dass ein Baby schon nach wenigen Wochen eine eigenständige Beziehung zum Vater aufnimmt“. Väter haben zudem einen anderen „Spielstil“, den Franz als „explorativer und nach außen hin gerichteter“ beschreibt. Große Bedeutung hat die Präsenz des Vaters in der Phase der „Triangulierung“ (zweites und drittes Lebensjahr). In ihr wechselt das Kind zwischen Vater und Mutter hin und her. In Ängsten und Wutausbrüchen, die sich oft gegen die Mutter richten, kann der Vater das Kind auffangen: „Komm auf den Arm, ich zeig‘ dir die Welt. Selbstständigkeit ist möglich.“ In dieser „zweiten“ oder „psychischen Geburt“ übernehme der Vater eine wichtige Funktion. Bis ins Erwachsenenalter erinnere man sich zurück: Wie hat mein Vater sich in dieser Situation verhalten?
Endlich ist der Winddrachen von Daniel Claßen und seiner Tochter fertig. Zwar ist dann doch nicht genug Wind da, um ihn steigen zu lassen. Aber der Vater ist überzeugt, dass sein Kind für den Rest des Tages nicht von seiner Seite gehen wird. „Allein dafür hat es sich gelohnt, teilzunehmen.“ hama
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