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Warum Kinder Fantasyfilme brauchen – “Drachenzähmen leicht gemacht”

Fantastische Wesen sind aus Kinderzimmern nicht wegzudenken. Feuerspeiende Drachen etwa können verkörpern, was sich nur schwer in Worte fassen lässt – zum Beispiel Ängste, Sehnsüchte, Mut oder Zweifel.

Fantastische Wesen bieten sich als spielerische Brücke an, um mit unbekannten oder bedrohlichen Seiten des Lebens zu experimentieren. Seit dem Animationsstoff “Drachenzähmen leicht gemacht” von 2010, der ab sofort als Realverfilmung neu im Kino zu sehen ist, gehören dazu auch feuerspeiende Drachen. Sie helfen Kindern als emotionale Projektionsflächen auf dem Weg beim Größerwerden, weil sie das verkörpern, was sich nur schwer in Worte fassen lässt: Ängste, Sehnsüchte, Mut oder Zweifel.

Der Film erzählt von dem jungen Wikinger Hicks, der in einem Dorf lebt, wo man seit Jahrhunderten Jagd auf Drachen macht. Starke Männer stellen sich gegen die Ungeheuer, die Unheil über das Land bringen. Doch dann begegnet der schmächtige Junge dem Drachen Ohnezahn und es entwickelt sich eine unerwartete Freundschaft. Er erkennt, dass Drachen nicht die Ungetüme sind, für die sie gehalten werden. Das stürzt den zartbesaiteten Außenseiter in einem Zwiespalt zwischen den Anforderungen seines Vaters Haudrauf und seinem eigenen Gewissen.

Im Grunde reicht eine einzige Szene aus, um die innige Freundschaft zwischen Kind und Kreatur vor Augen zu führen. Es ist die erste Annäherung zwischen dem schlaksigen Wikingerjungen und dem nachtschwarzen Drachen. Hicks schaut Ohnezahn an und streckt zaghaft-neugierig seine Hand aus. Der Drache schnaubt, zieht skeptisch seine Augen zusammen und knurrt verunsichert. Die Abwehrhaltung führt dazu, dass Hicks in einem furchtsamen Impuls seine Hand zurückzieht.

Es ist eine Atmosphäre der Unsicherheit. Dann aber nimmt er all seinen Mut zusammen, wendet den Kopf zur Seite, schließt die Augen und streckt erneut die Hand aus. Der Drache zeigt sich verwundert, schaut überrascht auf diese Geste des Respekts und auf die Sanftheit, die der Wikingerjunge in diesem Moment ausstrahlt. Es fällt kein Wort. Es ist eine stille Einladung zur Nähe. Und Ohnezahn nimmt sie an. Der Drache schließt ebenfalls die Augen und legt seine Schnauze in die Hand von Hicks.

Der Wikingerjunge Hicks bietet sich als wunderbarer Zugang zu dieser Fantasiewelt an, als Identifikationsfigur für Kinder. Hicks passt von Beginn an nicht ins Raster; er ist zu schmächtig, um ein echter Wikinger zu sein, und zu nachdenklich, um sich ungestüm und kriegerisch gegen die Drachen in den Kampf zu stürzen. In einer Gesellschaft, die sich über Stärke definiert, wird er zum Außenseiter. Er beobachtet, grübelt und entdeckt, so wie sich auch Kinder die fremde Welt der Erwachsenen zu erklären versuchen, in der sie sich als Außenseiter erleben. Die Beziehung zwischen Hicks und Ohnezahn wird zum emotionalen Herzstück der ganzen Filmreihe. Was als vorsichtige Annäherung beginnt, wandelt sich zur tiefen Freundschaft, die nicht nur Hicks und Ohnezahn verändert, sondern auch ihr gesamtes Umfeld.

Die Wikinger, die in bester Erwachsenen-Logik ihren Traditionen folgen und sich bislang mit der Zahl der von ihnen getöteten Drachen gebrüstet haben, beenden ihren ewigen Kampf, nachdem Hicks einem Monster in die Augen geschaut und Hass durch Empathie und Neugier ersetzt hat. Eine Geste, die wiederum das Vertrauen der Drachen weckt, die sich fortan mit den Wikingern verbünden.

Man könnte meinen, dass Kinder solche Fabelwesen wie Drachen schlicht deshalb spannend finden, weil sie fliegen oder Feuer speien können, oder weil sie etwas Besonderes sind, das sie in ihren Alltag niemals zu Gesicht bekommen werden. Doch das wäre zu kurz gedacht. Denn es geht hier nicht nur um die Faszination für etwas Besonderes, sondern um weit mehr: um die emotionale Nähe, die zwischen Mensch und Tier entstehen kann.

Ohnezahn bietet Hicks etwas, das er unter den Wikingern nicht findet: ein Gegenüber, das ihn annimmt, so wie er ist. Tiere – auch und gerade Fabeltiere – können als emotionale Brücken dienen, indem sie helfen, die eigenen Gefühle auszudrücken und zu verstehen, während sie zugleich Gesellschaft und Unterstützung anbieten. “Elliot, das Schmunzelmonster” (1977), “Mein Nachbar Totoro” (1988) oder “Die Legende von Ochi” (2025) erzählen auf ihre Weise von genau solchen fantastischen Freundschaftsbeziehungen.

Die Fabelwesen und die fantastischen Welten, in denen sie existieren, bieten für Kinder einen besonderen Zugang, den man aus Erwachsenensicht nicht immer nachvollziehen kann. Daher ist es etwas vorschnell, solche Geschichten als “reine Unterhaltung” abzutun. Storys wie “Drachenzähmen leicht gemacht” erweisen sich als Erzählungen, die mit ihren abstrakten Ideen zwischen Alltag und Exzeptionellem, Realität und Fantasie vermitteln.

Wer also genauer hinschaut und unter die Oberfläche blickt, entdeckt, dass dort weit mehr verborgen liegt als Zeitvertreib und Unterhaltung. Es wird vielmehr von etwas sehr Echtem erzählt: von den leisen, manchmal schmerzhaften, aber auch wunderschönen Momenten des Erwachsenwerdens. Fabelwesen wie Drachen verkörpern für Kinder das, was nur schwer in Worte zu fassen ist: Ängste, Sehnsüchte, Mut oder Zweifel. Die Freundschaft zu einem Fabelwesen wie Ohnezahn steht für die Freundschaft zu sich selbst und der Akzeptanz von all dem, was dieses Selbst ausmacht – und sei es etwas Ungeheuerliches.

Analog zur Aussage “Kinder brauchen Märchen” des Kinder- und Jugendpsychologen Bruno Bettelheim liegt es nahe, in Fantasyfilmen wie “Drachenzähmen leicht gemacht” moderne Märchengeschichten zu erkennen. Sie bieten ähnlich wie Märchen durch die Verknüpfung von fantastischen und realweltlichen Elementen eine Erzählebene an, die Bettelheim als unschätzbar wertvoll für Kinder betrachtet hat – mit ganz neuen Dimensionen, Emotionen und Welten.

Kinder können nach dieser Logik verwirrende innere Konflikte in einer Form erleben, die sie verstehen können. In ihrem fantasievollen Denken werden aus der bösen Hexe, dem finsteren Wald oder dem Ungeheuer Gefühle wie Angst, Einsamkeit oder Wut. Das Kind kann diesen Gefühlen im Fantastischen wahrhaftig begegnen. Märchen wie Fantasyfilm zeigen Möglichkeiten auf, wie wilde, verwirrende Gedanken und Gefühle “gezähmt” werden können.

Damit bieten sie einen Ort, an dem man Angst haben und Fehler machen darf und trotzdem stark sein kann. Für Kinder ein wertvoller Schutzraum. Das Beste daran aber ist, dass am Ende meistens alles gut wird. Ein Happy End. Nicht, weil alles perfekt ist, sondern weil die Hauptfigur sich selbst verändert und entwickelt hat. Mut wird belohnt, das Anderssein als Stärke wahrgenommen. All das wird durch die sichere Distanz der Fantasie erlebt. Solche Geschichten bieten Möglichkeitsräume, in denen (nicht nur) Kinder Anregungen und Strategien erfahren, um mit der Wirklichkeit umzugehen.

Umso schöner, wenn ein Film wie “Drachenzähmen leicht gemacht” davon ohne Kitsch oder Moralkeule, aber mit einem tiefen Verständnis davon erzählt, wie feinfühlig und wandlungsfähig Kinderseelen sind. Solche Filme entwerfen ein starkes Bild davon, wie emotionale Reife entstehen kann: durch Annäherung, Empathie und Verantwortung und durch die Akzeptanz von Ängsten und Gefühlen.