Bier fast ohne Alkohol war lange ein mehr oder minder fades Nebenprodukt für Brauereien. Inzwischen fließen Millionenbeträge und jahrelange Tüftelei in neue Produkte. Ein Experte klärt auf.
Alkoholfreies Bier ist auf dem Vormarsch – sogar auf der Wiesn. Höchste Zeit, vor dem Anstich des ersten Fasses einmal den Forschungsstand zu erheben. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Thomas Becker, Lehrstuhlinhaber für Brau- und Getränketechnologie an der Technischen Universität München in Freising, über einen Unterschied, der immer kleiner wird. Und über wöchentliches Riechtraining.
Frage: Professor Becker, seit wann gibt es alkoholfreies Bier?
Antwort: Schon im Mittelalter hat man Bier stark verdünnt und den Kindern gegeben. Weil es einfach kein anderes hygienisch sauberes Getränk gab. In der Moderne war in Westdeutschland Clausthaler aus Frankfurt wohl das erste Bier dieser Art auf dem Markt.
Frage: Wie funktioniert die Herstellung?
Antwort: Da gibt es verschiedene Techniken. Man kann die Temperatur im Gärprozess herunterfahren und damit die Hefe an der Produktion von weiterem Alkohol hindern, sobald die 0,5-Prozent-Marke erreicht ist. Das ist die in Deutschland gesetzlich festgeschriebene Grenze. Damit ist der Alkoholgehalt für den Körper unbedenklich. Naturtrüber Apfelsaft, der nicht gleich getrunken oder kühl gelagert wird, hat leicht doppelt so viel Alkohol. Die andere Möglichkeit ist, dem Bier nachträglich Alkohol zu entziehen. Das geht mit Membranen oder Verdampfungsanlagen.
Frage: Bleibt da nicht der Geschmack auf der Strecke?
Antwort: Na ja, wenn Sie die Hefegärung stoppen, hat das Bier schnell eine süße, malzige Note. Nehmen Sie weniger Stammwürze, also weniger Zucker, schmeckt es schnell leer. Beides will man nicht haben.
Frage: Wieso mundet “Bleifreies” heute dennoch besser als noch vor zehn Jahren?
Antwort: Das hängt stark mit einem Umdenken bei den Brauern zusammen. Vor zehn Jahren war alkoholfreies Bier ein Nebenprodukt. Das haben sie gar nicht ernst genommen, das lief so mit wie Radler. Und schmeckte dann halt brotig, mastig oder extrem hopfig. Inzwischen stecken einige Brauereien richtig viel Zeit in die Entwicklung, das kann auch mal drei Jahre dauern. Welcher Hopfen ist der richtige, welche Temperatur bei der Gärung, welche Rezeptur für das Malz? Die guten alkoholfreien Biere setzen bei den Verfahren auf eine Kombination, die das Beste aus allen Welten verbindet.
Frage: Wohin geht aktuell die Entwicklung?
Antwort: Im Prinzip gibt es zwei Ansätze: Die Mutigen versuchen sich an einem alkoholfreien Bier, das am Ende gar nicht mehr nach Bier schmeckt, sondern nach ganz etwas anderem, zum Beispiel Erdbeeren oder Holunder. Die anderen wollen dem alkoholischen Original so nahe wie möglich kommen. Das ist der populärere Weg.
Frage: Und – funktioniert der?
Antwort: Es ist zumindest einfacher, je hopfen- und malzbetonter das Grundbier ist. Und es ist bei den untergärigen Bieren mit ihrem komplexeren Aroma viel schwieriger als etwa bei Weißbier. Wir haben mal bei uns am Lehrstuhl ein alkoholfreies Stout gebraut und blind verkosten lassen. Das haben sogar einige Braumeister nicht mehr herausgeschmeckt.
Frage: Sie merken sofort, ob ein Bier Alkohol enthält?
Antwort: Schon, aber das erfordert intensives sensorisches Training.
Frage: Was machen Sie da für Übungen?
Antwort: Beim Bier sind 40 Aromen entscheidend. Jeden Dienstag bekomme ich zehn davon – zum Riechen. Die alle korrekt zu bestimmen, ist schon Arbeit und will trainiert sein. Die Herausforderung lässt sich steigern, wenn wir normale Biere gezielt mit Fehlaromen impfen und man die dann erkennen muss.
Frage: Konventionell gebrautes Bier hat es immer schwerer bei den Verbrauchern, vor allem bei der gesundheitsbewussten jüngeren Generation. Gehört dem Alkoholfreien die Zukunft?
Antwort: Da lege ich mich fest: Ich bin jetzt 59 und werde es nicht mehr erleben, dass der Biermarkt mehrheitlich in Richtung Alkoholfreies kippt. So stark ist die Dynamik nicht.
Frage: Es gibt Kleinbrauereien, die schaffen mit einem Sudkessel zehn verschiedene Biersorten. Aber bei der Einführung von Alkoholfreiem tun sie sich schwer. Warum?
Antwort: Weil Sie da in der Regel zusätzlich investieren müssen, da kommt man schnell auf eine Million Euro. Das können sich viele nicht leisten. Sie könnten natürlich auf Hefen setzen, die gar keinen Alkohol mehr produzieren. Auch das gibt es inzwischen. Dazu müssten sie sich aber intensiv in die Technologie einarbeiten. Dann gibt es Dienstleister, die anbieten, einem Bier den Alkohol zu entziehen. Woran keine Brauerei mehr vorbeikommt: Sie muss sich heute als Getränkeproduzent verstehen. Und die Zeit, in der Biertrinker ein Leben lang einer Marke, einer Sorte treu bleiben, ist endgültig vorbei.
Frage: In Deutschland gilt das Reinheitsgebot, eine der ältesten Lebensmittelvorschriften der Welt. Ist das wissenschaftlich und betriebswirtschaftlich noch sinnvoll?
Antwort: Die seit 1516 gültige Regel sieht aus wie eine Zutatenliste, ist aber im Grunde eine Verfahrensvorschrift. Man bekommt nur ein vernünftiges Ergebnis, wenn man den Prozess dahinter wirklich versteht. Das erfordert viel Wissen und Erfahrung. Und es ist nach wie vor die wirtschaftlichste Art, Bier zu produzieren. Natürlich kann man auch was anderes probieren.
Frage: Nämlich?
Antwort: In Fernost haben sie versucht, die Gärung sein zu lassen, aber ihr Ergebnis nachzuahmen. Sie haben die von der Hefe produzierten Substanzen analysiert und sie durch Aromacocktails ersetzt. War schweineteuer und hat nach nichts geschmeckt. Dann haben sie Milcheiweiß dazu gegeben, das ergab Probleme mit der Filterung. Gegen die Trübung sollte dann irgendein Enzym helfen: Am Ende war das Bier klar, aber der Schaum war weg.
Frage: Sie sind Purist?
Antwort: Sie können ein Bier produzieren, das nach Spargel schmeckt, nach Rhabarber, Trüffel oder weiß der Teufel was, und alles Mögliche da hineinkippen. Dafür muss man dann “Bier nach EU-Deklaration” aufs Etikett schreiben. Das ist erlaubt. Aber auch mit dem Reinheitsgebot lassen sich Milliarden verschiedene Biere herstellen.
Frage: Bier ist Ihr Beruf – schmeckt da noch die Halbe am Feierabend?
Antwort: Auf jeden Fall. An Bier und Getränken zu arbeiten und zu forschen, ist faszinierend. Ich empfinde es als Ehre, dass ich das machen darf.