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Wann man laut Knigge den Kopfhörer lieber abnehmen sollte

Kopfhörer sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Viele Menschen tragen sie auch in der Öffentlichkeit. Manchmal ist es aber Zeit, sie abzunehmen – wann, verrät der Knigge-Experte Clemens Graf von Hoyos.

Sie gehören inzwischen fast zur Grundausstattung eines Menschen: Kopfhörer. Ob in der Bahn, im Supermarkt oder im Fitnessstudio – vor allem Jüngere tragen sie zu jeder Gelegenheit. Selbst im Familienalltag stecken sie in oder auf den Ohren von Kindern und Partnern. Aber gibt es beim Tragen Grenzen, die die Höflichkeit gebietet? Wann sollte man Kopfhörer lieber absetzen – und wann darf man sie ohne schlechtes Gewissen weiter tragen? Der Knigge-Experte Clemens Graf von Hoyos (36) gibt dazu Tipps. Der junge Familienvater ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft e.V mit Sitz in Essen und weiß in der Regel, was sich gehört – und was nicht.

Hoyos sagt, es stehe zunächst einmal grundsätzlich jedem frei, überall, wo er möchte, Kopfhörer zu tragen – es sei denn, dies gefährde die eigene Sicherheit oder die anderer Menschen. Der Knigge-Experte fügt jedoch gleich ein “Aber” an: Wenn Kopfhörer die Interaktion mit Mitmenschen störten, sollte man sie ebenfalls abnehmen. Aber ab welchem Punkt ist eine Interaktion eine Interaktion? Zählt dazu der ritualisierte Kassiervorgang im Geschäft und die immer gleiche Kaffeebestellung – oder erst der Plausch beim Gassigehen mit anderen Hundebesitzern?

Für Hoyos gilt der Grundsatz: “Sobald ich direkt mit einem anderen Menschen kommuniziere, ist es höflich und wertschätzend, ihm meine volle Aufmerksamkeit zu schenken – und die Kopfhörer ab- oder herauszunehmen.” Das gelte beispielsweise an der Kasse des Supermarkts. Im Idealfall sollten hier wie in anderen Gesprächssituationen drei Körperpartien in Richtung des Gegenübers gedreht sein: die Nasen-, die Fußspitze und der Bauchnabel. “Wertschätzung bedeutet, jemanden zugewandt zu sein”, sagt Hoyos.

In dieser Ausrichtung des Körpers sehe das Gegenüber – in diesem Fall der Kassierer – die Kopfhörer, auch wenn es unauffällige Knöpfe im Ohr seien. “Deswegen empfehle ich, die Kopfhörer herauszunehmen, im Idealfall beide, auch wenn sie stumm geschaltet sind”, erklärt der Experte. “Einen herauszunehmen ist aber besser als keinen herauszunehmen.” Menschen, die Over-ear-Kopfhörer tragen würden, empfiehlt er, diese für die Unterhaltung um den Hals zu legen.

In Bus und Bahn, beim Spaziergang oder im Fitnessstudio kommuniziert man meist nicht direkt mit anderen. Allerdings sagt Hoyos: “Eine Definition von Manieren ist, umsichtiges Verhalten an den Tag zu legen.” Wer aber vertieft in Musik oder den Podcast sei, könne nicht mehr gänzlich umsichtig anderen Menschen und der Umwelt gegenüber sein. “Insofern wäre es angebracht, die Lautstärke soweit herunterzuregeln, dass man andere Leute und die Umwelt noch wahrnimmt.” Besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln gelte es, andere Menschen durch die Lautstärke der Musik nicht “zwangszuinvolvieren”.

Ansonsten würde das Tragen von Kopfhörern in der Öffentlichkeit nicht weiter stören. “Schon Knigge hat gesagt, dass man zuerst Blickkontakt aufbauen sollte, ehe man jemanden anspricht”, erklärt Hoyos. Auf dieses Signal, ein Gespräch beginnen oder eine Frage stellen zu wollen, reagierten dann Menschen in der Regel damit, zumindest einen Kopfhörer herauszunehmen. Im Fitnessstudio spreche eine andere Erfahrung gegen das Tragen von Kopfhörern: Die meisten bräuchten viel zu lange, den passenden Soundtrack zum Training auszuwählen. “Im Zweifel besetzen sie dabei ein Gerät – das ist auch nicht gerade umsichtig anderen gegenüber.”

Im Familienalltag sind Kopfhörer längst auch angekommen. So hört das Kind Vater oder Mutter nicht zum Essen rufen, weil es mit Kopfhörern vor dem PC sitzt oder darüber Musik hört. Und der eigene Partner hört beim Kochen oder Wäsche aufhängen den Lieblingspodcast und ist ebenfalls nicht ansprechbar. Statt sich allerdings über diese akustische Unerreichbarkeit zu ärgern, sollten Angehörige sich laut Hoyos vielmehr klar machen, dass Rufe durchs Haus oder die Wohnung nicht wertschätzend seien. “Es ist besser, entgegenzukommen, wortwörtlich”, sagt der Knigge-Experte. Das heißt: Statt das Kind aus der Küche zu rufen, sollte man zu ihm gehen und sich visuell bemerkbar machen. Das gleiche gelte für den Partner oder die Partnerin.

Beim gemeinsamen Abend- oder Mittagessen am Tisch sei es aber wiederum schade, wenn jeder in seiner eigenen Welt versunken bleibe. “Wozu habe ich denn eine Familie? Nicht, um ihr fortwährend die kalte Schulter zu zeigen”, sagt Hoyos. Zum Ehe- und Familienleben gehörten Interesse aneinander, Gespräche und Zugewandtheit – ganz ohne Kopfhörer.