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Wandern und ins Kloster

Um heil zu werden an Leib und Seele, brauchen Männer Raum für einen eigenen Zugang. Die evangelische Männerarbeit macht dazu neue Angebote für Männer in der Lebensmitte

Es war 1977 im Sommer kurz vor Vorlesungsbeginn. Da saß ein Mitstudent im Hörsaal der Bonner Universität und strickte friedlich vor sich hin, was sein rosa Wollknäuel hergab.
Ein strickender Mann! Lächerlich! So einer hat wohl auch kein Problem damit, Gefühle zu zeigen. Womöglich weint der sogar vor anderen, wenn ihm danach ist. Stärke sieht anders aus. – Vorurteile, in Worte wie „Weichei“ und „Softie“ gefasst, paaren sich mit Bildern, die aus den Tiefenschichten des Bewusstseins unweigerlich an der Oberfläche auftauchen. Erziehung hinterlässt tiefe Spuren.
„Männer weinen heimlich“, singt Herbert Grönemeyer in seinem Lied „Männer“, das 1984 herauskommt. Und er entlarvt darin gleich mit der nächsten Liedzeile „Männer brauchen Zärtlichkeit“ die ganze Falschheit des überkommenen einschichtigen Außenbildes vom starken Mann, mutig und durchsetzungsstark. Es ist ein Abgesang auf unterdrückte Seelenqualen und alles Macho-Gehabe, das mit dem alten Manns-Bild einhergeht.
Ausnahmslos jeder Mann hat auch eine weiche, verletzliche Seite. Er hatte sie immer schon. Nur durfte er sie bis dahin nicht zeigen, musste sie verbergen, wollte er nicht als Schwächling gelten. Das hat sich verändert. Die Gesellschaft hat sich verändert. Greifbar ist das in der evangelischen Kirche in ihrer Männerarbeit.
Festzuhalten ist: Es gibt nicht ein dominierendes Bild vom Mann und vom Mannsein. Vielfältiger sind damit auch seine Rollen in der Gesellschaft. Was aber ist das Selbstverständnis als Mann? Welche Rolle hat er als Lebenspartner, Vater, Großvater, Berufstätiger? Was wird von ihm erwartet? Was sind seine emotionalen und besonderen spirituellen Bedürfnisse? Fragen wie diese nimmt die evangelische Männerarbeit gezielt in den Blick.
Das Augenmerk von Martin Treichel, seit März neuer Landesmännerpfarrer in der Evangelischen Kirche von Westfalen, liegt dabei besonders auf der aus seiner Sicht bisher vernachlässigten Arbeit mit Männern im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Der Seelsorger weiß um die Bedürfnisse dieser „Männer in der Lebensmitte“. Zählt er doch mit seinen 47 Jahren selbst dazu.
Fragen wie die nach der Wertigkeit des Berufs nennt er ein Themenfeld, das in dieser Lebensphase, „wenn die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind“, interessiert. Zunehmend ein Thema sei auch „Männer und Pflege“.
Anknüpfend an ihre Erlebens- und Erfahrungswelt möchte Treichel Männer „raus aus dem Alltag an ungewöhnliche Orte“ führen. Bei Bergwanderungen und Klosterwochenenden sollen sie „ihre Spiritualität“ entdecken.
Anders als die Männergruppen in den Kirchengemeinden möchte Treichel so auch Kirchendistanzierten Raum geben, „das miteinander in Verbindung zu bringen, was sie beschäftigt“. Das Jahres­thema der Männer­arbeit „,auf dass ihr heil werdet‘ (Philipper 2,2) – Männer zwischen Risiko und Sicherheit“, das der Männersonntag aufnimmt (Seite 2), wird hier konkret.