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Von Israel tolerierte Siedlergewalt bedroht palästinensische Dörfer

Landnahme, Abrisse, Zwangsumsiedlungen: Im Westjordanland schrumpft durch israelische Maßnahmen der Raum für Palästinenser. Der Fall der Region von Masafer Yatta wurde sogar verfilmt. Doch die Gewalt geht weiter.

Für die israelische Armee ist es “Feuerzone 918”, für rund 1.500 Palästinenser seit Generationen Zuhause: Masafer Yatta, ein hügelig-ländliches Gebiet mit 19 palästinensischen Dörfern im von Israel besetzten Westjordanland, rund 20 Kilometer südöstlich von Hebron. In den frühen 1980er Jahren erklärte Israel Masafer Yatta zur “geschlossenen Militärzone”. Seither kämpfen Bewohner und Aktivisten gegen Landnahme, Hausabrisse und Vertreibung, juristisch und mit allen anderen verfügbaren Mitteln. Masafer Yatta ist kein Einzelfall. Aber dank dem Oscar-gekrönten israelisch-palästinensischen Dokumentarfilm “No other Land” ist es ins Rampenlicht gerückt.

Der palästinensische Co-Regisseur Basel Adra und sein israelischer Partner Yuval Abraham, schlagen Alarm. Khalet Al-Dabia, eines der Masafer-Yatta-Dörfer, stehe am Rande der Zwangsvertreibung. Häuser und Infrastruktur seien weitestgehend zerstört, bewaffnete Siedler ins Dorf eingezogen. “Masafer Yatta wird zerstört werden, wenn nicht dringend mehr Aktivisten und Journalisten kommen und sich uns vor Ort anschließen”, so Basel Adra auf der Plattform “X”. Zusammen mit der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem organisierten beide eine Notfalltour nach Khalet Al-Dabia, die “vielleicht letzte Gelegenheit zu dokumentieren, was passiert – bevor diese Gemeinschaft ausgelöscht wird”.

Wer kam, kam nicht weit: Ein Aufgebot teils vermummter israelischer Soldaten und Polizei sperrte die Zufahrten zu dem Gebiet für alle außer den Dorfbewohnern. Das Militär hatte das Gebiet am Sonntag für 24 Stunden zum Sperrgebiet erklärt, eine Maßnahme, die häufig zum Einsatz kommt, wenn Aktivisten, Medien oder Demonstranten erwartet werden. Am Samstag hatten sie mehrere Aktivisten festgenommen, die die Dorfbewohner durch ihre Präsenz schützen wollten.

Die Journalisten seien “öffentliche Ruhestörer und gefährden den Verkehr”, sagt einer der Vermummten, der sich weigert, seinen Namen zu nennen. Zehn Minuten gibt er ihnen, um den Platz zu räumen. Ein Polizist droht mit dem Einsatz von Blendgranaten. Auch der palästinensische Minister Moayyad Shaaban, Chef des “Komitees für den Widerstand gegen die Kolonisierung und die Mauer”, muss draußen bleiben. Masafer Yatta liegt in den sogenannten C-Gebieten. Sie machen rund 60 Prozent der besetzten Gebiete aus und stehen unter ziviler und militärischer Verwaltung Israels. Palästinenser, auch Minister, haben hier nichts zu melden.

Seit dem Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat die Gewalt im Westjordanland zugenommen, sagt Sarit Michaeli, bei B’Tselem für internationale Angelegenheiten zuständig. Israel betreibe gewaltsame Vertreibung und ethnische Säuberungen von Palästinensern zugunsten einer jüdischen Vorherrschaft, formell durch israelische Behörden und Sicherheitskräfte, und informell, in dem radikalen Siedlern erlaubt werde, die einheimischen Palästinenser zu terrorisieren und in ihren Dörfern zu randalieren.

Im Fall von Masafer Yatta gab das oberste israelische Gericht im Mai 2022 nach zwei Jahrzehnten Rechtsstreit grünes Licht für eine Zwangsumsiedlung der Bewohner mehrerer Dörfer. Insgesamt rund 1.100 Menschen in 13 Dörfern sind laut der UN-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) von Vertreibung bedroht.

Bewohner und Aktivisten fühlen sich von der Welt allein gelassen. Ihre Untätigkeit mache die internationale Gemeinschaft zu Mittätern, sagt Basel Adra. “Der Druck und die Gewalt der Siedler wächst, US-Präsident Donald Trump hat Sanktionen gegen jüdische Siedler zurückgenommen, rassistische israelische Minister erläutern öffentlich ihre Agenda.”

Zumindest könne man den Rechtsextremen in der israelischen Regierung nicht vorwerfen, ihre Absichten zu verheimlichen, sagt B’Tselem-Sprecher Shai Parnes, doch sein Sarkasmus erstickt im Ernst der Lage. Immer mehr ähnele das israelische Vorgehen gegen Palästinenser im Westjordanland dem Krieg im Gazastreifen, sagt der B’Tselem-Sprecher. “Das Ausmaß ist anders, aber das Mindset ist gleich.”

Für Yuval Abraham sind die internationalen Reaktionen auf all dies “ein Witz”, wie er sagt. “Als Aktivisten versuchen wir, Veränderungen vor Ort herbeizuführen, das aber ist sehr schwer, wenn die internationale Gemeinschaft gegen uns ist. Sie handelt gegen Israelis und Palästinenser, die gegen die Besatzung sind und an eine politische Lösung glauben und schadet uns damit.”

Für die Zukunft von Masafer Yatta und die palästinensischen Gebiete überhaupt sieht es laut den Aktivisten düster aus. Israel ziele darauf ab, einen palästinensischen Staat zu verhindern und den Raum zu reduzieren, der Palästinensern zur Verfügung stehe, so Abraham. “Der letzte Schritt wird sein, alle Palästinenser zwischen dem Fluss und dem Meer zu vertreiben”, eine Politik, die der jüdische Israeli “von ganzem Herzen” ablehnt.

“Wenn ich Deutsche höre, die ihre bedingungslose Unterstützung Israels rechtfertigen, nachdem Israel 19.000 Kinder in Gaza getötet hat, und ihre Geschichte des Genozids am jüdischen Volk erwähnen, werde ich sehr wütend”, sagt Abraham. Er wolle nicht, dass das in seinem Namen geschehe. “Nutzt nicht diese Geschichte, von der ich nicht weiß, wieviel ihr aus ihr gelernt habt, um Komplizen zu werden!”