Als die ersten Bewerbungen von jungen Lehrkräften auf ihren Tisch flatterten, wusste Andrea Melechova Ruthova, dass ihre Schule in Kutna Horá auf einem guten Weg ist: „Sie haben mitgekriegt, dass bei uns etwas in Bewegung geraten ist, und wollten die Änderungen mitgestalten“, erzählt die Schuldirektorin aus der Kleinstadt östlich von Prag. Die Wandlung „von der Ghettoschule zum Vorzeigeprojekt“, wie Medien sie bezeichnen, wird zum Muster für Reformen im Land: Eine private Initiative will die jahrzehntelange Segregation insbesondere von Schülerinnen und Schülern aus der Roma-Minderheit durchbrechen.
Tschechien: Roma-Minderheit meist in “Restschule”
Dass Tschechien Kinder aus der Roma-Minderheit diskriminiert, hat der europäische Menschenrechts-Gerichtshof schon vor Jahren festgestellt – und jetzt droht dem Land sogar eine Klage. Denn an der Praxis, sozial schwache Schüler aus bildungsfernen Haushalten in speziellen Schulen zusammenzufassen, hat sich bislang im Land wenig geändert. Das Bildungsministerium hat nur bedingt Einfluss auf die einzelnen Einrichtungen, deren Träger die Gemeinden oder Städte sind. Und für die zuständige Regionalpolitik ist es oft am bequemsten, die Kinder quasi aufzuteilen.
„Wenn es in einer Stadt zum Beispiel vier Grundschulen gibt“, erklärt Ondrej Matejka von der Prager Stiftung „EduZmena“, die hinter dem Pilotprojekt steht, „wird eine davon zur Top-Schule ausgebaut, dann gibt es zwei normale Schulen und eine, die quasi als Restschule fungiert.“ In Tschechien decken die Grundschulen die Jahrgangsstufen eins bis neun ab.
Modellversuch an Schule zeigt Wirkung
Die Schule von Andrea Melechova Ruthova liegt in der 20.000-Einwohner-Stadt Kutna Horá. Sie residiert in einem Akademie-Gebäude aus der Habsburgerzeit mit langen Fluren und hohen Räumen. „Als ich 2016 hier angefangen habe, stammten 30 Prozent der Kinder aus der Roma-Minderheit und nochmal 30 Prozent Kinder hatten spezielle Betreuungsbedürfnisse“, erinnert sie sich: „Zu der Zeit wurde Eltern mit schwierigen Kindern in Beratungsstellen gesagt: Schickt das Kind auf diese Schule, die kommen mit solchen Kindern klar. Dadurch ist der Anteil dieser Schüler immer weiter gestiegen.“
Weil die Situation in Kutna Horá archetypisch ist für viele andere Städte in Tschechien, wählte die Stiftung EduZmena – zu Deutsch etwa: „Bildungswandel“ – sie für ihr Pilotprojekt aus. Um teure bauliche Änderungen oder die Anschaffung von digitalen Unterrichtshilfen geht es nicht; im Mittelpunkt steht die Organisations- und Unterrichtsentwicklung. Projektleiter Matejka: „Wir wollen, dass die Schule sich entwickelt, dass sie plant, reflektiert, dass sie auf die Probleme und Bedürfnisse von Schülern und Eltern reagiert. Und dass die nicht so weitermachen, wie sie es immer schon gemacht haben.“
Schüler sollen sich sicher und geborgen fühlen
Es ist ein ergebnisoffener Ansatz. Zum Start gab es eine aufwändige Fortbildung für die gesamte Schulleitung, getragen von der Stiftung: Unter anderem ging es um Führungsmethoden und Change Management. Danach erarbeitete die Leitung mit dem Kollegium eine Vision für die Schule.
Gemeinsam veränderten sie die didaktischen Methoden, vom Frontalunterricht hin zu interaktiven Formaten. Die Lehrkräfte, hieß es, ließen die Zügel ein wenig lockerer, moderierten eher als dass sie referierten und bezögen die Impulse der Schüler stärker ein. Über allem steht das Ziel, dass sich die Schüler sicher und geborgen fühlen sollen – dafür ist auch regelmäßig ein Team mit einem Sozialarbeiter, einer Sonderpädagogin und einer Psychologin an der Schule.
Der neue, kooperative Unterrichtsstil machte die Schule auf einmal interessant für bildungsnähere Elternhäuser. An der Schule hat sich der Anteil der Roma-Kinder mehr als halbiert. Schülerinnen und Schüler kommen heute aus dem ganzen Stadtgebiet und haben sich bewusst für diese Schule entschieden.
Schulprojekt hat Vorbildcharakter
Die Ergebnisse, die das Team während der Pilot-Phase in Kutna Horá gesammelt hat, sollen jetzt auch anderswo in Tschechien nutzbar gemacht werden: Derzeit starten ähnliche Projekte zunächst in vier weiteren Gegenden des Landes. Nach Auskunft der zuständigen Stiftung haben sich viel mehr Städte für die nächste Projektphase beworben, als sie aufnehmen konnte.