Es ist schon ein Klassiker: Wenn die Abende wärmer werden, steigt aus Großstadthöfen und Dorfgärten der Geruch von Gebratenem auf. Es ist Grillzeit. Auch wenn Mann sonst Kochherd und Küche meidet – hier steht er, hantiert mit archaischen Gerätschaften und teilt wie einst in der Altsteinzeit an seine Sippe das erbeutete Fleisch aus.
Noch mehr archaische Gefühle löst in vielen Menschen ein Abend am Lagerfeuer aus. Das Erlebnis von weitem Himmel und stiebenden Funken ist für so manchen der Inbegriff von Freiheit. Gleichzeitig wirkt es auf viele auch beruhigend: Die Urgewalt Feuer ist gebändigt und dienstbar gemacht.
Die Bändigung des Feuers ist tief im kollektiven Gedächtnis der Menschheit verankert. Denn damit, vor vielen Jahrtausenden, begann die Menschwerdung. Von Archäologen und Religionswissenschaftlern wird fest angenommen, dass dort, am Feuer in der Mitte des Langerplatzes der Sippe, die Menschen für sich die Religion entdeckten, dass dort die Ursprünge von Kultus und Kultur liegen.
Eine wichtige Rolle spielte und spielt dabei das Essen. Zwar hatte kürzlich ein Nachrichtenmagazin wieder einmal darauf verwiesen, dass auch heute noch am Buffet in uns das Tier erwacht, das vor seiner Beute sitzt und sie verteidigt. Das mag stimmen. Doch die Geschichte der Zivilisation ist eben auch die Geschichte der Esskultur. Nicht nur, dass die frühe Menschheit irgendwann dazu überging, nach erfolgreicher Jagd gemeinsam zu essen, statt wie bei einem Wolfsrudel sich mit dem ergatterten Stück in eine ruhige Ecke zu verziehen. Bald entwickelte sich auch der Brauch, von der erjagten Beute oder den gesammelten Früchten etwas zu opfern – verbunden mit dem Dank an den Geber der Gaben, sei es der Bruder Bär oder die Mutter Erde.
Dieser Grundgedanke zieht sich bis heute durch alle Religionen hindurch – ebenso wie das Bemühen, durch gemeinsames Essen den Zusammenhalt in einer Gemeinschaft zu sichern und neue Kontakte zu knüpfen. Immer wieder weisen Erziehungsexperten darauf hin, wie wichtig es ist, dass in einer Familie wenigstens einmal am Tag sich alle Mitglieder an einem Tisch versammeln. Denn das gemeinsame Essen ist immer auch Kommunikation. Wichtige Verträge werden bei Arbeitsessen vorbereitet und der Abschluss meist mit einem Festessen gekrönt. Und auch bei verliebten Paaren beginnt ihre gemeinsame Geschichte oft mit einer Einladung in ein Café oder Restaurant.
Ebenso schreibt die Bibel dem Essen immer wieder eine große Bedeutung zu, positiv und negativ: Die Menschheit verliert ihre Unschuld und damit das Paradies durch den Biss in die Frucht vom Baum der Erkenntnis. Esau verliert sein Erstgeburtsrecht an Jakob durch seinen Heißhunger auf eine Linsensuppe – wodurch auch seine besondere Stellung an Jakobs Nachkommen, das Volk Israel, übergeht. Die Israeliten in Ägypten bekommen von Gott die Anweisung, vor ihrer Flucht Lämmer zu schlachten, sie gemeinsam zu essen und mit dem Blut die Türpfosten ihrer Häuser anzustreichen, damit der Würgeengel an ihnen vorübergehe. Und für den Aufbruch ins Ungewisse sollen sie Brote aus ungesäuertem Teig backen, die sich eine Ewigkeit halten.
Neben anderen Zutaten sind Lammfleisch und Matzen, wie dieses Brot heißt, bis heute fester Bestandteil des Sedermahls, mit der sich jüdische Familien an diesen Aufbruch aus Ägypten und die Bewahrung auf dem Weg ins gelobte Land erinnern. Hier hat auch das christliche Abendmahl seinen Ursprung. Nicht nur, weil Jesus es mit seinen Jüngern am Gründonnerstag vor dem Passahfest feierte, bevor er am Kreuz hingerichtet wurde. Es ist auch, wie damals in Ägypten, geistliche Wegzehrung beim Unterwegssein ins gelobte Land. T. Baier
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Vom Lagerfeuer zum Tisch des Herrn
Das Feuer war der Ausgangspunkt von Kultur und Religion, so vermuten Wissenschaftler. Auf jeden Fall spielen gemeinsame Mahlzeiten bis heute eine wichtige Rolle im Leben der Menschen. Eine kurze Kulturgeschichte des Mahls

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