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Vom Koma zurück ins Leben – Schauspieler Kahrmann erzählt

Zwei Millionen Menschen landen jedes Jahr auf Intensivstationen. Christian Kahrmann war einer von ihnen – er erlebte neben Angst auch Vertrauen. Um Therapie und Betreuung zu verbessern, haben Fachleute klare Forderungen.

Den 11. März 2021 wird Christian Kahrmann nie vergessen. An diesem Tag rief er wegen Luftnot im Krankenhaus an. Nach einem Jahr Pandemie war der Schauspieler an Covid-19 erkrankt, flächendeckende Impfungen gab es noch nicht. Aufgenommen wurde er trotzdem nicht, weil es anderen zum damaligen Zeitpunkt noch schlechter ging – erst, als man ihn abholen musste, um ihn mit Sauerstoff zu versorgen, ging es für den Darsteller, der in der “Lindenstraße” bekannt wurde, auf die Intensivstation.

Dort sei man sehr fürsorglich mit ihm umgegangen – und er sei trotz seiner Angst erleichtert gewesen, berichtet Kahrmann. “Man hat mir genau erklärt, was passieren wird: Am nächsten Tag sollte ich ins künstliche Koma versetzt werden.”

Das Wissen, dass er einfach einschlafen werde, sei in diesem Moment befreiend gewesen – “so komisch das vielleicht klingt”. Er habe sich in guten Händen gewusst, betont der Schauspieler – aber wissen wollen: “Wie lange bin ich weg?” Zwei bis drei Wochen könnten es werden, so die Antwort – und Kahrmann erinnert sich mit einem leisen Schmunzeln an seinen Gedanken: “Ich bin ein kräftiger Kerl, das wird schon hinhauen.”

Rund zwei Millionen Menschen werden nach Worten des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Gernot Marx, jährlich auf deutschen Intensivstationen behandelt – und 90 Prozent von ihnen können “zurück ins Leben gebracht werden”. Zugleich beobachten die Mediziner viele Ängste – vor Technik und Tod; davor, nicht selbst entscheiden zu können. Fachleute fordern dazu eine breite ethische Debatte.

Mehr Aufklärung sei auch geboten, weil das Thema früher oder später jeden Menschen betreffe, sagt Pflege-Influencer Dominik Stark – sei es, weil Angehörige krank würden oder weil man selbst Hilfe brauche. Eine große Erleichterung wäre es daher, wenn jede und jeder eine Patientenverfügung hätte, appelliert der Intensivkrankenpfleger, dem auf Instagram mehr als 42.000 Menschen folgen.

Neben diesem Dokument brauche es auch Gespräche mit Vertrauenspersonen, betont der Essener Klinikdirektor für Anästhesiologie, Thorsten Brenner. Diese würden umso wichtiger, je stärker von Vorerkrankungen betroffen oder je älter jemand sei. In Kliniken sollten diese Gespräche stets mit multiprofessionellen Teams stattfinden – und Therapie-Entscheidungen erst dann getroffen werden, wenn sich alle einig seien. “Wenn jemand Sorge hat, noch nicht so weit zu sein, muss man auch das berücksichtigen.”

Sechs Tage nach seinem ersten Notruf wurde Christian Kahrmann ins künstliche Koma versetzt – im Nachhinein erzählte ihm seine Familie, wie dankbar sie für Updates des Fachpersonals war. Im Koma erlitt der Schauspieler akutes Nierenversagen, musste an die Dialyse. “Da sah es mit mir sehr schlecht aus – da wurde nichts beschönigt”, sagt er. Zugleich habe sich das Team stets um “guten Spirit” bemüht – mit kleinen Witzchen oder dem Hinweis: “Wir haben für Sie einen Champagner aufgemacht”, als Kahrmann wieder aufgewacht war.

Der 52-Jährige korrigiert sich umgehend selbst: “‘Aufgewacht’ ist nicht das richtige Wort. Die Leute denken, das sei nach dem Koma so, wie man morgens wach wird.” Tatsächlich sei er am 5. April wieder bei Bewusstsein gewesen – und erst Ende dieses Monats wieder “normal ansprechbar”. Zunächst habe er weder sprechen noch sich bewegen können, nur mitbekommen, dass Menschen um ihn waren. “Ich war 30 Kilo leichter, hatte einen Luftröhrenschnitt bekommen – selbst meine Freundin habe ich nur gerade so erkannt.”

Was kommt nach einer solchen Behandlung? Lange Zeit sei schon bei der Verlegung auf die Normalstation, spätestens während einer Reha-Maßnahme der Kontakt zu Betroffenen verloren gegangen, kritisiert der Professor für Interdisziplinäre Intensivmedizin, Hendrik Bracht. Derzeit testet die Fachgesellschaft nach Worten von Marx eine App, über die Patienten die gesundheitliche Entwicklung und ihr Wohlbefinden auch weiter dokumentieren können. Zudem sind manche Ambulanzen inzwischen als “angehörigenfreundlich” zertifiziert – dort muss also niemand befürchten, einen lieben Menschen nicht besuchen zu dürfen.

Allerdings, darüber sind sich die Fachleute einig: Gespräche mit Patienten und Beratung von Angehörigen braucht Zeit. So kann laut Stark ein Intensiv-Tagebuch hilfreich sein, das Angehörige und multiprofessionelle Teams gemeinsam schrieben – etwa dann, wenn später motorische Probleme oder psychische Belastungen aufträten. “Das klingt vielleicht banal im Gegensatz zu hochkomplexen Geräten, aber es sind genau die Dinge, die den Unterschied machen können.”

Nach insgesamt zwei Jahren Genesung geht es Christian Kahrmann heute “super”: Nach eigenen Worten hat er keine Schäden zurückbehalten; zuletzt war er in der Serie “Asbest” im Ersten oder im Netflix-Film “Blood & Gold” zu sehen. Wenn er vier Jahre zurückdenke, schätze er sich glücklich: “Ich trage das jeden Tag mit mir – und empfinde vor allem große Dankbarkeit und Demut.”