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Vertrieben und vergessen

Die Batwa in Uganda sind ein vergessenes Volk. Nachdem Soldaten der Armee die rund 6000 Waldmenschen aus ihrem ursprünglichen Lebensraum vertrieben haben, hat sich die Anglikanische Kirche Ugandas der Tragödie angenommen

Frühmorgens in Kisoro, ein Bergort im Südwesten Ugandas. In der Siedlung Mukingo kriechen Frühaufsteher aus Holzverschlägen durch Türen aus Plastikmüll. Daneben stehen Steinhäuser, die vor 20 Jahren von der anglikanischen Kirche für eine Gruppe aus dem Volk der Batwa gebaut wurden. „Es gibt drei Gebäude“, erklärt der Sozialarbeiter Steven Ruzaza. „Darin wohnen zweihundertfünfzig Menschen, inklusive Kinder.“
Steven Ruzaza koordiniert das Gemeindeentwicklungsprogramm der anglikanischen Diözese Muhabura. Eine seiner Aufgaben ist es, die Situation der Batwa zu verbessen. „Sie leben vor allem vom Betteln. Einige übernehmen kleine Arbeiten in der Stadt. Viel mehr Einkommensmöglichkeiten haben sie nicht. Früher waren sie es gewohnt, ihr Fleisch zu jagen. Aber hier gibt es keine Tiere zum Jagen.“

AIDS könnte das Volk der Batwa auslöschen

Der Wind bläst Staub und Müll durch die Siedlung. In Verschlägen liegen ausgemergelte Menschen auf harten Betten. Zu den Todesursachen unter den Batwa gehören Malaria, Tuberkulose und seit einigen Jahren auch AIDS.  Der AIDS-Virus könnte das Volk der Batwa ausrotten.
Im Jahr 1991 hat die ugandische Regierung mit der Unterstützung internationaler Naturschutzorganisationen wie dem Deutschen Tierschutzbund oder der Regenwald Direkthilfe in der Umgebung von Kisoro zwei Nationalparks eingerichtet. Für die rund 20 Gorillas, die damals dort lebten, war das eine gute Nachricht. Aber weil die Batwa keine Dokumente besaßen, die ihren Anspruch auf das Land legitimiert hätten, wurden sie aus dem Wald getrieben. Ihnen blieb nur, in eine Welt zu fliehen, die ihnen fremd war: Die Welt der Landwirtschaft und der städtischen Entwicklung.
Ein älterer Mann in schmutzigen Jeans sitzt vor seiner Hütte. Er spricht in seiner ursprünglichen Sprache Rufumbira. Steven Ruzaza übersetzt: „Er sagt, dass sie im Wald wildes Fleisch hatten. Sie konnten Feuer machen, weil es Holz gab. Sie haben wilden Honig gesammelt. Aber all das gibt es hier nicht.“
Das Grundstück, auf dem die Batwa von Mukingo leben, wird von der anglikanische Diözese Muhabura zur Verfügung gestellt. Ezra Ndagije, der Geschäftsführer der Diözese Muhabura, beklagt, dass sich bis heute niemand wirklich der Tragödie der Batwa angenommen hat: „Auch wir als Kirche haben ihnen nicht ausreichend Unterstützung gegeben. Sie leben ohne Hoffnung.“
In einigen Batwagemeinden kann die anglikanische Kirche Missionserfolge vorweisen. Das Dorf Mukungu zum Beispiel liegt wenige Kilometer von der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo. Heute sind viele Batwa in die Ortskirche gekommen. Sie freuen sich über den Besuch des diözesanen Geschäftsführers Ezra Ndagije. Der einflussreiche Kirchenbürokrat kommt das erste Mal nach Mukungu. Er selber stammt aus dem Volk der Bahutu und ist es nicht gewohnt, mit den Batwa auf Augenhöhe zu sprechen. „Diese Leute haben ihr Selbstwertgefühl und ihren Lebensmut verloren. Sie fühlen sich ausgegrenzt und leben von einem Tag zum anderen.“
Die letzten zwei Kilometer bis zur Kirche muss Ezra Ndagije über staubige Fußwege laufen, vorbei an Teeplantagen und Maisfeldern. Das fruchtbare Land gehört den Bahutus der Region. Für die Batwa hat die anglikanische Kirche Grundstücke gekauft, auf denen sie ihre Hütten gebaut haben. Batwa sind darauf angewiesen, dass die Bahutu ihnen Arbeit geben. Bezahlt werden sie meist mit Nahrungsmitteln.
In dem spartanisch ausgestatteten Gottesdienstraum singen etwa 100 Batwa ein Begrüßungslied. Danach fordert Ezra Ndagije die Versammelten auf, über ihr Leben in Mukungu zu sprechen. Eine Frau ergreift das Wort: „Ich danke Gott für die Arbeit des Bischofs und dafür, dass er heute Besucher geschickt hat. Ich hoffe, dass wir eines Tages einen eigenen Ort haben werden, an dem wir leben können.“
Danach erinnert ein Mann an die Zeit, als sein Volk noch im Wald lebte: „Mein Zuhause war unter einem großen Stein. Es war eine Höhle unter einem Fels. Das Leben dort war gut. Es gab viele Tiere. Außerdem sind die Menschen nie krank geworden. Aber hier in den Dörfern werden ihre Kinder ständig krank.“
Vom Rest der Gemeinde kommt zustimmendes Raunen. Der Mann wird mutiger: „Ich bin unglücklich. Im Wald war ich stark, aber hier werde ich immer schwächer. Die Erinnerung an die Vertreibung macht mich traurig. Wenn ich könnte, würde ich zurückgehen in den Wald.“
Ezra Ndagije versichert, sein Bischof habe immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Batwa. Er sei stolz auf die Entwicklungsprojekte, die seine Diözese in Mukungu umgesetzt hat. Für Ezra Ndagije ist das selbstbewusste Auftreten der Batwa eine neue Erfahrung. Ihre Offenheit hat ihn nachdenklich gemacht.
Zurück in Kisoro. Ezra Ndagije hat seinem Bischof von dem Besuch in Mukungu berichtet. Seit 2007 steht Bischof Cranmer Mugisna an der Spitze der Diözese. Jahrelang hat er das Unrecht an den Batwa beobachtet. „Die Batwa könnten ausgelöscht werden. Die Welt entwickelt sich auf eine Art, die es schwer macht, ihren Lebensstil zu erhalten.“

Der Staat Uganda befasst sich nicht mit den Batwa

Seit 20 Jahren gibt es in Uganda eine stabile Regierung, die Armut geht zurück. Aber nicht bei den Batwa. Ihnen wurde alles genommen. Und das, obwohl Ugandas Verfassung die Rechte indigener Gemeinden anerkennt. Der Bischof meint, die Vertreibung der Batwa sei eine internationale Entscheidung gewesen. „Wenn Menschen nur darüber nachdenken, wieviel Geld sie verdienen können, tun sie Dinge auf Kosten anderer Menschen, sogar um den Preis ihres Lebens. Das ist bösartig.“
Ugandas wichtigste Devisenquelle ist der Tourismus. Eine Hauptattraktion sind teure Safaris zu den Berggorillas. Die leben jetzt in menschenleeren Urwäldern, durch die früher die Batwa gezogen sind.