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Verdeckt, versteckt, kaum wahrgenommen

Selbst Seniorenbüros sind kaum eine Hilfe, wenn die Rente nicht reicht. Stichproben zeigen, dass die Möglichkeit der Grundsicherung nicht offensiv erörtert wird

Im Jahr 2030 wird jeder zweite Rentner arm sein. So berichtete es kürzlich der WDR. Das ist eine erschreckende Progno­se. Sofort wurde die Aussage in Frage gestellt, von der Politik relativiert, von Statistikern auf die Methode und mögliche Fehler hingewiesen.
Statt über die Lebenssituation armer Menschen wird über Methoden und statistische Modelle debattiert. Über Warenkörbe, über Äquivalenzziffern oder über das soziokulturelle Existenzminimum. Darüber lässt sich streiten und je nach Lesart kommt natürlich Unterschiedliches dabei heraus.
Übersehen wird dabei leider, dass es bereits heute eine Vielzahl von alten Menschen gibt, die arm sind. Sozialberater der Diakonie berichten regelmäßig davon, dass alte Menschen in die Beratung kommen, geplagt von Schulden und ohne Hoffnung und Perspektive.
Bislang waren es in erster Linie Frauen, die von Altersarmut betroffen sind. Da Frauen oft weniger verdienen als Männer und während ihres Berufslebens häufiger zugunsten der Kinder pausieren oder nur Teilzeit arbeiten, erwerben sie durchschnittlich weniger Rentenansprüche als Männer.
„Das wird sich aber verändern“, ist sich Landessozialpfarrerin Heike Hilgendiek vom Institut für Kirche und Gesellschaft sicher. „Bedingt durch den größer werdenden Niedriglohnsektor, zum Beispiel im Bereich Logistik und Handel, werden auch die Renten von vollzeitarbeitenden Männern künftig nicht zum Existenzminimum reichen.“
Diese Entwicklung lässt sich im Prinzip ganz einfach aufhalten. Höhere Löhne heute bedeuten auch höhere Renten übermorgen. Das hilft aber erst übermorgen. Menschen, die heute zu wenig Rente haben, müssen über die Möglichkeit der Grundsicherung umfassend informiert werden.
Eine telefonische Anfrage bei Seniorenbüros in zwei zufällig ausgewählten Ruhrgebietskommunen ergab, dass die Frage der sozialen Absicherung und die Prüfung eines eventuellen Anspruches auf Grundsicherung von Seniorenbüros nicht offensiv angegangen wird. „Es wurde auf die grundsätzliche Verantwortung, auf die Zuständigkeit des Sozialamtes hingewiesen zum Rentenbescheid“, kritisiert Hilgendiek die gängige Praxis.
Hier besteht eine Informations- und Motivationslücke.
Es braucht Menschen, die Informationen weitergeben, die Armut wahrnehmen und arme Menschen motivieren, ihre Rechte wahrzunehmen. Wer kümmert sich eigentlich um Menschen, die von 700 Euro Altersrente leben? Um Menschen, die kein Sparbuch mehr haben, die an kulturellen Veranstaltungen nicht mehr teilnehmen, weil es Geld kostet? Um Menschen, die Angst haben, dass ihre Beerdigung nicht finanziert werden kann?
 Armut zeigt sich nicht offensiv. Es ist häufig eine verschämte, subtile, verdeckte Armut, die einfach krank macht. Das wahr- und ernst zu nehmen ist eine Frage der Mitmenschlichkeit.
Es geht dabei aus kirchlicher Sicht sowohl um gelebte Barmherzigkeit im Sinne von Teilen als aber auch um anwaltliches Handeln. Die Kirche ist an der Seite der Armen – auch hier in Deutschland, hier in der Nachbarschaft. Dazu gehört ein Eintreten für die Rechte armer Menschen, für die Anpassung und regelmäßige Erhöhung der Regelsätze und damit für gesellschaftliche Teilhabe und Gerechtigkeit.

Der Autor, Axel Rolfsmeier, ist Referent für Sozialpolitik im Fachbereich Wirtschaft, Arbeit und Soziales des Instituts für Kirche und Gesellschaft.