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Urlaub ist der Sonntag des Jahres

Auch die Muße kann eine christliche Tugend sein. Ein Plädoyer für eine Kirche, die sich nicht nur dem leidenden, sondern auch dem Erholung suchenden Menschen zuwendet

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Kirche und Urlaub – passt das zusammen? Warum engagiert sich die Kirche auch im Tourismus? Hat Kirche nicht zuallererst ihren Platz dort, wo Menschen leiden, alt, krank, arm oder benachteiligt sind? Ist es wirklich nötig und angemessen, dass kirchliche Gelder, Zeit und Kraft von Mitarbeitenden auch dort eingebracht werden, wo Menschen „die schönsten Wochen des Jahres“ am Meer, in den Bergen, auf Campingplätzen oder Kreuzfahrtschiffen verbringen?
Um es gleich ganz klar zu sagen: Ja, es ist wichtig und keine „Luxusaufgabe“, dass Kirche sich dort zeigt und mit haupt- und ehrenamtlicher Leidenschaft an Urlaubsorten anzutreffen ist.
Dort, wo Menschen etwas Gutes für ihr Leben erwarten, da mitten hinein gehören kirchliches Engagement und kirchliche Phantasie. Kirchliche Präsenz an Urlaubsorten, das heißt: Menschen entgegenkommen, dort also sein, wo sie Erholung, „Rekreation“, Neuschöpfung suchen, wo sie Fröhlichkeit und Freiheit von Alltagsnotwendigkeiten erhoffen.

Eine Theologie der Muße ohne schlechtes Gewissen

Es gibt keine Theologie des Urlaubs, doch gäbe es eine, dann wäre es eine Theologie der Muße, die den Menschen nicht allein als Arbeitenden, Betenden, Leidenden oder Schuldigen in Beziehung zu Gott setzt, sondern als Müßigen. Ganz ohne das schlechte Gewissen, das uns Christen manchmal packt, wenn wir nicht fleißig, mühselig oder beladen sind.
Eine Theologie des Urlaubs würde unmissverständlich belegen, dass der Glaube nicht nur etwas für Notzeiten ist, sondern alle Dimensionen des Lebens betrifft, eben auch die Hoch- und Festzeiten.
Eine biblische Geschichte, die von Lebensfreude und Fülle erzählt, ist die Geschichte von der Hochzeit zu Kana. Gleich im 2. Kapitel des Johannesevangeliums, am Beginn des Wirkens Jesu, wird sie erzählt. Jesus bewirkt ein „überflüssiges“ Wunder. Weil bei der Hochzeit der Wein ausgeht, wandelt er Wasser zu einem köstlichen Getränk, das die Qualität des bisher gereichten Weines bei Weitem übersteigt. Der Gastgeber wird vor einer Blamage verschont und alle Gäste können fröhlich und ausgelassen weiterfeiern. Selbst wenn für die meisten Hochzeitsgäste das Wunder und sein Urheber gar nicht erkennbar werden, genießen sie alle die Folgen seiner Gegenwart.
Hier wird keine existenzielle Not gelindert, kein Kranker geheilt, kein Hungernder gespeist. Und doch ist dieses Wunder so wichtig, dass es als erstes Zeichen, das Jesus tat, im Johannesevangelium überliefert ist. Gott meint es gut mit den Menschen! Er will für sie nicht nur das Allernotwendigste. Es geht ihm um Lebensfülle, um Freude am Dasein und an der Begegnung. Im Urlaub, in der Hoch-Zeit des Jahres, dürfen die Menschen die freie Zeit und alles Schöne von Herzen genießen. Gott gibt seinen Segen dazu – so kann von dieser biblischen Erzählung auf die Urlaubssituation geschlossen werden.

Offene Kirchen laden Urlauber ein

Deshalb sind Kirchen in Urlaubsregionen häufig verlässlich geöffnet und liebevoll auf Gäste vorbereitet. In ihnen spüren viele Menschen etwas von heiligen Zeiten, „holidays“, wie im Englischen die Ferien genannt werden. Urlauber haben die Möglichkeit, einfach in die Kirche zu gehen und eine Kerze anzuzünden; vielleicht auch das Staunen über die Schönheit der Schöpfung mit Dankbarkeit durch einen Eintrag ins Gästebuch auszudrücken. Deshalb wird im Gottesdienst am Sonntag mit Kleinen und Großen fröhlich das Leben gefeiert. Deshalb gibt es Aktionen für Kinder am Strand oder auf dem Campingplatz, sitzt ein Urlaubsseelsorger im Strandkorb, gibt es die Geschichte zur guten Nacht, das schöne Konzert, bei dem sich die Seele weiten kann.

Rhythmus von Arbeit und Muße ist wichtig

Viele Menschen verbinden gerade deshalb hohe Erwartungen mit dem Urlaub, weil ihnen im Alltag der Wechsel von Anspannung und Entspannung nicht gelingt. Sie haben das Gefühl für die lebensnotwendige Unterbrechung des ständigen Tuns verloren. Bei einigen Zeitgenossen hat der Alltag keinen Feierabend, die Woche keinen Sonntag und das Jahr keine Zeit für Urlaub. Manche merken das nicht einmal, aber sie spüren die Folgen in Erschöpfung, Niedergeschlagenheit oder einer Art „Grauschleier“ über dem Leben. Der soll im Urlaub weggepustet werden, wenn der dann doch einmal ansteht. Das Leben soll wieder bunt werden und neue Vitalität sich einstellen.
Menschen kommen in Not, wenn ihr Leben aus dem rhythmischen Wechsel von Arbeit und Muße geraten ist. Aus der jüdisch-christlichen Tradition kann die Kirche dann die Botschaft vom „notwendenden“ Ruhetag einbringen. In der Schöpfungsgeschichte heißt es: „Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken.“ Auch das 3. Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen“ will den Menschen nicht gängeln, sondern ihm eine Pause gewähren, Abstand zu Pflichten und Ansprüchen und Zeit für Freude über das, was geschafft ist.
Der ruhende Gott am Sabbat, der Sonntag, den Christen als ersten Tag der Woche und als Erinnerung an die Auferstehung feiern, sind Hinweise darauf, dass Muße gegönnt wird und Leben neu werden kann – schon jetzt und auch in Zukunft. Jeder Sonn- und Feiertag und auch der Jahresurlaub sind eine Einladung, zu sich selbst und seinem Tun ein wenig in Distanz zu gehen, die Perspektive zu wechseln und sich neu einzuschwingen in den heilsamen Rhythmus von Arbeiten und Ruhen in Gottes Gegenwart. Vielleicht ist der Urlaub im Jahr so etwas wie der Ruhetag in der Woche: Erlaubnis Gottes, frei zu sein und das Heil nicht in Leistung und Erfolg zu suchen, sondern als geschenkt wahrzunehmen.
Und wenn der Urlaub dann doch nicht alle Erwartungen erfüllen kann? Wenn es zwar schön ist, aber plötzlich die lange gedeckelten Probleme in der Partnerschaft an die Oberfläche dringen? Oder wenn noch stärker als sonst die Einsamkeit empfunden wird? Wenn einmal ausgesprochen werden muss, dass die alten Eltern Mühe machen oder die Arbeit nur noch als Job zum Gelderwerb dient?

Das Leben wird neu – jetzt und in Zukunft

Dann ist es gut, wenn Menschen an einer Offenen Kirche, einem Kirchenzelt auf dem Campingplatz oder einer Andacht unterm Sommerhimmel vorbeikommen und der Einladung folgen. Mitarbeitende in der Urlauberseelsorge wissen, dass aus den schönsten Wochen des Jahres unvermittelt die schwierigsten werden können. Und dass Menschen dann – fern ihrer gewohnten, stützenden Umgebung – besonders aufnahmebereit sind: für einen Menschen, der ihnen zuhört und der sie in dieser bedrängten Situation nicht bewertet oder verurteilt. Und der ihnen auch ein Wort Gottes mitgibt, das sich als das wertvollste aller Urlaubssouvenirs erweisen kann.

Pastorin Marion Römer ist Referentin für Kirche im Tourismus der Landeskirche Hannovers.