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Unrealistische Schönheitsideale erzeugen enormen Druck

Wenn immer jüngere Menschen eine Schönheitsoperation erwägen, hat die Sorge um das Äußere eine neue Dimension erreicht. Kein Wunder: Zeigt Social Media doch perfekt gestylte Personen mit vollkommenen Körpern.

Das sorgte für Aufsehen: Die spanische Modekette Mango präsentierte ihre Kollektion kürzlich nicht mit menschlichen Models, sondern mit Frauen, die von Künstlicher Intelligenz erzeugt worden waren. Ein entscheidender Unterschied, der kaum zu erkennen gewesen wäre, hätte das Unternehmen nicht selbst darauf hingewiesen.

“Die Frauen, die hier gezeigt werden, führen uns perfekte Körperformen vor Augen, die es so gar nicht gibt”, warnt Ada Borkenhagen, psychologische Psychotherapeutin und Professorin an der Universität Magdeburg. Dadurch würden die Schönheitsideale, die Menschen im Kopf haben, immer unrealistischer.

Wohlgeformte Brüste oder Waschbrettbauch, geschwungene Lippen, reine Haut – seit jeher gibt es universelle Merkmale eines schönen Körpers, die über ein ästhetisches Empfinden hinausgehen. Als Zeichen von Gesundheit waren sie zu Urzeiten bei der Partnersuche von Bedeutung – und evolutionsgeschichtlich durchaus sinnvoll. “Heute sagt uns vor allem ein kultureller Kommunikationsprozess, was schön ist”, erklärt Borkenhagen.

Nicht zu unterschätzen sei dabei die Rolle der Medien, besonders die von bildbasierten Plattformen wie Instagram oder TikTok. Mit Bearbeitungsprogrammen und Beauty Filtern erschaffen sie laut der Expertin eine Welt, in der per Mausklick nicht nur makelloses Make-Up gezaubert wird, sondern auch problemlos Körper-Korrekturen vorgenommen werden.

Welche Auswirkungen der Optimierungsdruck, der so entsteht, vor allem auf Jugendliche hat, belegt eine Studie der EU-Initiative saferinternet.at aus dem vergangenen Jahr. Demnach wünscht sich mehr als die Hälfte der befragten Jungen und Mädchen eine Veränderung ihres Aussehens; über ein Viertel hat schon einmal über eine Schönheitsoperation nachgedacht.

Dass hierzulande auch viele Erwachsene mit dem eigenen Körper unzufrieden sind, belegt die Statistik ebenso: Demnach gehörte Deutschland 2023 weltweit zu den Ländern mit den meisten ästhetisch-plastischen Eingriffen. Frauen lassen 85 Prozent der Eingriffe vornehmen und liegen damit deutlich häufiger auf dem OP-Tisch als Männer – Botox-Behandlungen, Faltenunterspritzungen, Oberlidstraffungen und Fettabsaugen stehen ganz oben auf ihrer Wunschliste.

Borkenhagen rät bei solchen Eingriffen zur Vorsicht. Wer sich etwa heute – dem aktuellen Ideal folgend – einen Kussmund spritzen lasse, könnte dies bereuen, sobald wieder schmale Lippen en vogue sind. Und: “Wer im Grunde seines Herzens nicht mehr er selbst, sondern irgendein Fernsehstar oder Model sein möchte, wird so nicht zu mehr Zufriedenheit gelangen.” Trotz ständiger Fortschritte in der Schönheitschirurgie bleibe es aufgrund genetischer Unterschiede unmöglich, jeder Frau zur “perfekten” Körperform zu verhelfen.

An der Akzeptanz des eigenen Körpers und dessen Unvollkommenheit führe deshalb kein Weg vorbei – und das werde mit zunehmendem Alter keineswegs leichter. “In unserer überalterten Gesellschaft ist Jugendlichkeit und ein entsprechend attraktives Aussehen ein rares und deshalb hohes Gut”, erläutert die Therapeutin. Auch ältere Menschen spürten diesen Druck und bemühten sich um ein gepflegtes Äußeres; beispielsweise, um zum zweiten- oder dritten Mal auf Partnersuche zu gehen – oft auf einer Internet-Plattform, wo der erste Eindruck über Fotos, also Äußerlichkeiten entstehe.

“Unser Körper, das Altern und die Tatsache, dass wir irgendwann sterben müssen, zählen zu den ‘facts of life'”, betont die Psychotherapeutin. “Wer dies nicht anerkennt und den realistischen Blick auf sein Äußeres verliert, bei dem wird das Streben nach Schönheit zum Wahn.” Dies könne sich schlimmstenfalls in einer Essstörung oder anderen psychischen Problemen äußern.

Was angesichts unerreichbarer Schönheitsideale jedoch beruhigen kann: “In länger andauernden zwischenmenschlichen Beziehungen wie einer Partnerschaft genügt die ‘schöne Larve’ ohnehin nicht”, sagt die Expertin. Vielmehr kämen innere Werte zum Tragen. Sie selbst beispielsweise finde nichts unangenehmer als ein Gegenüber, das sich ständig die Haare glatt streiche oder die Lippen nachziehe.