Mehr als 1,7 Millionen Menschen besuchten 2024 die drei Schlösser von Ludwig II. Weitere 6.000 stiegen zum Schachenhaus auf. Wenn alles klappt, könnten des Königs gebaute Träume nun den Ritterschlag der Unesco bekommen.
Träume haben viele. Sie umzusetzen gelingt nur wenigen: Einer davon war König Ludwig II. (1845-1886) von Bayern. Zu seinen Lebzeiten machten sich die Leute über den Spleen des Regenten noch lustig, sich zwei Schlösser im Stil des französischen Sonnenkönigs Louis XIV. errichten zu lassen: eines mitten im Graswangtal, das andere, an Versailles erinnernd, auf der Herreninsel im Chiemsee. Dazu kamen der Bau einer mittelalterlichen Ritterburg hoch über Schwangau sowie ein Chalet, einsam gelegen auf 1.866 Meter Höhe im Wettersteingebirge und ausgestattet wie ein Palast in Istanbul.
Seit Jahren sind Linderhof, Herrenchiemsee und Neuschwanstein die großen Tourismus-Magnete Bayerns. Letzteres besuchten 2024 über eine Million Menschen. Ob die Königsschlösser samt dem Schachenhaus, das nur zu Fuß oder per Mountainbike erreichbar ist, bald den Titel “Welterbe” tragen dürfen, darüber wird nun in Paris entschieden. Vom 6. bis 16. Juli tagt dort das Unesco-Welterbekomitee. 32 Nominierungen liegen ihm vor, 14 mit Empfehlung. Auch die aus Deutschland mit dem Titel “Die Schlösser König Ludwigs II. von Bayern: Neuschwanstein, Linderhof, Schachen und Herrenchiemsee – Gebaute Träume” bekam eine solche ausgesprochen.
Erfahrungsgemäß sollte dies ausreichen, damit am Ende der Beratungen der Hammer des Vorsitzenden niedergeht mit den Worten: “Decision adopted” (Entscheidung angenommen). Aber natürlich kann immer etwas dazwischenkommen. Für den Freistaat wären die vier Königsschlösser in Summe die elfte Welterbestätte. 1981 machte die Würzburger Residenz den Anfang. Zum Reigen der Auserwählten zählen heute auch die Altstädte von Bamberg und Regensburg sowie das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth und das Augsburger Wassermanagement. Sie gelten seither als Stätten von “außergewöhnlichem universellen Wert”.
Michael Petzet, einst Bayerns oberster Denkmalpfleger, brachte 1997 die Idee auf, Neuschwanstein in diesem elitären Verzeichnis unterzubringen. Der Kunsthistoriker erlebte noch, wie ab 2001 im bayerischen Landtag und dann auf Bundesebene das Ziel weiter verfolgt wurde. 2015 landeten die Schlösser auf der deutschen Vorschlagsliste, 2023 war der Antrag fertig und wurde ein Jahr später bei der Kulturorganisation der Vereinten Nationen eingereicht. Da war Petzet schon vier Jahre tot.
Jedes der Schlösser Ludwigs hat seinen eigenen Reiz. Dennoch ragt Neuschwanstein heraus, auch mit Blick auf sein wirtschaftliches Potenzial. Bei Lego gibt es den architektonischen Traum ab 1. August als Bausatz in einer Reihe gleich neben Notre-Dame. Wer 3.544 Plastikteile korrekt zusammenfügt, kann sich stolzer Schlossherr nennen. Stolz ist allerdings auch der Preis von 269,99 Euro.
Das Original, das Walt Disney als Vorbild für sein “Cinderella Castle” diente, präsentiert sich derweil in neuem Glanz. Die Sanierung der gesamten Anlage ist nach 31 Jahren endlich abgeschlossen.
Auch Schloss Linderhof verfügt nach zehn Jahren Generalüberholung wieder über eine seiner Top-Attraktionen: die berühmte Venusgrotte. Um seine romantischen Vorstellungen von einer Höhle zu verwirklichen, war Ludwig modernste Technik gerade recht. Als erster Raum weltweit verfügte sie über farbige elektrische Beleuchtung und ein eigenes Kraftwerk. Maschinen erzeugen Regenbogen und Wellen auf einem unterirdischen See mit Muschelkahn. Knapp 59 Millionen Euro ließ sich der Freistaat die Wiederherstellung der perfekten Illusion kosten.
Wie in einer begehbaren Theaterkulisse kommt sich der Besucher in der Venusgrotte vor – aber auch in Neuschwanstein, wenn er durch den nie genutzten Thronsaal und den Sängersaal schreitet. Trotz des Mittelalter-Feelings wollte der König nicht auf modernen Komfort verzichten, etwa fließend Wasser und ein WC mit Spülung, ebenso gab es einen Telefonanschluss. Aus seiner Traumwelt sollte der offiziell für “irre” erklärte Ludwig in den Morgenstunden des 12. Juni 1886 gerissen werden. Eine Staatsdelegation mit dem Arzt Bernhard von Gudden brachte ihn von Neuschwanstein nach Berg am Starnberger See.
Einen Tag später wurden der Psychiater und sein Patient nach einem Spaziergang tot im See aufgefunden. Nach diesem rätselhaften Tod ließ der Staat umgehend die Schlösser für die Öffentlichkeit öffnen. Die Bürger sollten sehen, was an Geld verschwendet worden war. Doch die Untertanen reagierten begeistert – und die Touristen strömen noch immer. An die Orte, an denen Ludwig am liebsten ganz allein war.