Hausarztmangel in Deutschland: Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg haben noch die beste Versorgung. Doch bundesweit 5.000 Hausarztsitze sind frei. Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt Handlungsbedarf.
“Unser Gesundheitswesen steuert ungebremst auf einen Versorgungsnotstand zu”, warnt Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt. Und fordert entschlossenes Gegensteuern. Deutschland habe mit 9,6 Arztkontakten pro Kopf im Jahr eine der höchsten Raten weltweit. In bestimmten Regionen habe jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte. “Diese Entwicklung ist nicht nur ineffizient, sie ist angesichts von Personalengpässen und begrenzten finanziellen Mitteln schlicht nicht mehr tragbar”, so der Ärztepräsident jüngst beim Deutschen Ärztetag in Leipzig.
Die vermeintliche Lösung: Bundesregierung, Ärztekammer und Gesundheitsexperten wollen ein Primärarztsystem aufbauen, das es regional in freiwilliger Form bereits heute gibt: Patientinnen und Patienten sollen sich bei einem Hausarzt einschreiben, der sie durchs Gesundheitssystem lotst und sie bei Bedarf zu Fachärzten überweist. Befürworter hoffen, dass Facharztpraxen durch richtiges Zuordnen entlastet und Wartezeiten verringert werden.
Doch kann das überhaupt funktionieren? In Deutschland werden die Hausärzte knapp. Inzwischen sind 37 Prozent 60 Jahre oder älter. Schon jetzt sind laut Reinhardt deutschlandweit 5.000 Hausarztsitze unbesetzt; vor allem in ländlichen Gebieten bröckelt die Versorgung. Und die Situation könnte sich noch verschärfen – glaubt man einer am Mittwoch in Gütersloh veröffentlichten infas-Umfrage der Bertelsmann Stiftung.
Ein Viertel der über 50.000 Hausärztinnen und -ärzte überlegt danach, die Tätigkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre aufzugeben, für ein Zehntel ist die Entscheidung definitiv. Diejenigen, die ihren Beruf weiter ausüben möchten, wollen ihre Wochenarbeitszeit bis 2030 durchschnittlich um weitere zweieinhalb Stunden reduzieren. Heute sind es im Schnitt 44 Stunden pro Woche – fast 14 Stunden weniger als 2012. Das alles könnte dazu führen, dass 2035 mehr als 10.000 Hausarztsitze unbesetzt sind – und das in einer Phase, in der die Alterung der Gesellschaft stark zunimmt.
Besonders angespannt war die hausärztliche Versorgung – wenn man als groben Indikator die durchschnittliche Zahl der praktizierenden Hausärzte gerechnet auf jeweils 1.000 Einwohner im Jahr 2023 betrachtet – in Nordrhein-Westfalen. Dort kamen 0,620 niedergelassene Hausärzte auf 1.000 Menschen. Nur wenig besser sah die Lage in Baden-Württemberg aus (0,621). Am besten war der Wert hingegen in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Hausärztedichte von 0,740 niedergelassenen Medizinern je 1.000 Einwohner – gefolgt von Hamburg und Berlin.
Eine Lösung des Problems wären mehr Hausärzte: Manche Bundesländer wie NRW oder Niedersachsen locken Medizinstudierende durch eine Landarztquote, die jungen Menschen den Zugang zum Medizinstudium erleichtert, wenn diese sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums mehrere Jahre auf dem Land zu arbeiten. Mehr Studienplätze für Mediziner könnten Engpässe vermeiden – doch die Bundesländer sperren sich. Noch Ende Januar hat der Bundestag auch beschlossen, die Tätigkeit des Hausarztes finanziell attraktiver zu machen – indem die Honorar-Obergrenzen für sie wegfallen.
Die Bertelsmann Stiftung stellt diesen Weg in Frage: Statt Versorgungsengpässe durch noch mehr Steuerzuschüsse oder höhere Kassenbeiträge stopfen zu wollen, sollten die Strukturen im System modernisiert werden, so die Stiftung. “Wichtig wird sein, wie viel Zeit dem Hausarzt und der Hausärztin effektiv für die Arbeit am Patienten zur Verfügung steht. Hier gilt es, bislang ungenutzte Potenziale zu heben”, sagt Uwe Schwenk, Direktor Gesundheit bei der Stiftung.
Eine Entlastungsmöglichkeit besteht laut Stiftung darin, Terminmanagement, Befundaustausch, Diagnostik und Behandlungsabläufe stärker zu digitalisieren. Zudem könnten auch bestimmte Aufgaben auf andere, nichtärztliche Berufsgruppen übertragen werden – etwa speziell dafür ausgebildete medizinische Fachangestellte oder Pflegekräfte.
Die Mehrheit der Befragten, die ihre Praxis aufgeben wollen, kann sich zudem vorstellen, unter bestimmten Bedingungen länger im Beruf zu bleiben als geplant. Voraussetzung: Weniger Bürokratie, geringere und flexiblere Arbeitszeiten.