UK 12/2018, Passionschoräle (Seite 2: „Das Lied vom Lämmlein“)
Die Gedanken zu den alten Kirchenliedern von Paul Gerhardt, Christian Fürchtegott Gellert und Johann Heermann haben gute Erinnerungen aus schweren Zeiten in mir geweckt.
Dazu folgendes: 1944 – ich war gerade ins dritte Schuljahr gekommen und christliche Unterweisung an den Schulen war verboten – durfte ich mit einer ein Jahr älteren Freundin ins „Vereinshaus“ gehen, um dort biblische Unterweisung zu erleben. Dort traf ich, vermutlich mitten in einer Programmreihe, als Neue ein, musste mich noch mit den Händen auf die Bänke stemmen, weil meine Beine zu kurz waren, saß aber glücklich zwischen den „Großen“ und hörte Tante Luise Meier zu. Und wir bekamen die Aufgabe, bis zum nächsten Wochentreff die ersten drei Strophen des Liedes vom Lämmlein auswendig zu lernen.
Meine Mutter lernte sie mit mir. Als wenige Wochen später Mutter und Elternhaus während eines Bombenangriffs in Rauch aufgingen, habe ich höchstwahrscheinlich nicht an dies Lied gedacht, hatte dann aber später im Konfirmandenunterricht den Vorteil, es bereits zu können.
In vielen Lebenssituationen hat mich aber immer wieder sowohl der Text als auch das ganze Umfeld des Erlernens getragen und getröstet. Nie habe ich den Text als brutal oder krass empfunden, wahrscheinlich auch, weil die Wirklichkeit noch brutaler und krasser war. Im Gegenteil: Mir tut es heute direkt weh, wenn gerade die Paul-Gerhardt-Lieder als sprachlich „out“ angesehen werden. Manche Wörter gehören nicht mehr zu unserem Sprachgebrauch – dazu müsste ein Zugang geschaffen werden, aber mit dem Inhalt der Texte. Moderne Theologie in Ehren – bietet sich doch eine Gelegenheit, gegen den Strom der leeren Tot-Worte anzuschwimmen.
Das Paradoxe unseres Glaubens verschwindet ja nicht, weil wir es nicht mehr erwähnen. Und gegen die sich immer mehr ausbreitende Gefühlskälte und/oder Gefühlsduselei sind unsere Kirchenlieder doch ein wahrer Schatz.
Vielen Dank für den Artikel „Das Lied vom Lämmlein“.
Renate Schneider, Siegen
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