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„Trauer ist mehr als weinen“

Schwarze Kleidung und das Trauerjahr haben in der Gesellschaft an Bedeutung verloren. Hat jemand einen geliebten Menschen verloren, ist es wichtig, dass er damit gut leben lernen kann. Experten sehen Nachholbedarf beim Umgang mit Trauer

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In der Psychologie gilt Trauer als sogenanntes Basis-Gefühl. „Trauer, Freude, Ekel – diese Gefühle sind ansteckend“, erklärt Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper. Das heißt: Wer Zeit mit einem trauernden Menschen verbringt, kommt oftmals selbst in gedrückte Stimmung. Und das ist eigentlich gut so, sagt die Gründerin und Leiterin des Lavia Instituts für Familientrauerbegleitung in Gelsenkirchen: „Wenn jemand trauert, ist es gut, wenn jemand anderes diese Situation annimmt und mit demjenigen zusammen traurig ist.“
Zugleich fällt es vielen Menschen schwer, auf einen Betroffenen zuzugehen oder einen eigenen Verlust offen zu zeigen. Trauer sei individueller geworden, sagt der Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur, Oliver Wirthmann. Viele Leute verabschiedeten sich von starren Konventionen. „Das ist legitim.“ Aber es dürfe nicht beliebig werden, warnt der Experte.
Früher zeigte Trauerkleidung an, dass es in einer Familie einen Todesfall gegeben hatte. An den einzelnen Trachten ließ sich teils sogar ablesen, wie lange der Verlust zurücklag: Bis sechs Wochen nach dem Tod war die komplett schwarze Volltrauerkleidung üblich, bis zum ersten Jahrestag Halbtrauerkleidung – mit weißen Accessoires – und danach die sogenannte Abtrauerkleidung. Heute finden sich Spuren dieses Brauchtums in gedeckter Kleidung auf Beerdigungen oder im Trauerflor bei Sportereignissen.
Der Einzelne könne zwar auf solche Rituale verzichten, sagt Wirthmann. Die Gesellschaft könne je-doch nicht die Maßgabe ausgeben: „Man macht das nicht mehr.“ Der Experte stellt die Frage in den Raum, ob es äußere Zeichen der Trauer nicht durchaus brauche – eben die schwarze Kleidung, aber etwa auch das Grab, eine Abschiedsfeier, kirchliche Riten. „Das sind gestufte Formen des Abschiednehmens. Trotz aller Individualität braucht es Rituale.“
Schroeter-Rupieper wirbt zudem für einen offenen Umgang mit Trauer. Es gebe immer noch viele Missverständnisse: „Viele gehen davon aus, dass die Betroffenen von morgens bis abends traurig sind. Aber Trauer ist mehr als weinen.“ Manche Menschen kämen nach einem Todesfall zunächst im Alltag zurecht. Doch dann zeige sich die Trauer zu einem späteren Zeitpunkt: „Oft zeigt sie sich durch Magen-Darm-Beschwerden oder Schlafstörungen. Bis dahin musste der Betroffene vielleicht funktionieren, Geld verdienen, für die Kinder da sein – und merkt erst nach einer Weile, was alles fehlt.“
Wichtig wäre daher aus ihrer Sicht, beispielsweise in der Arbeitswelt nachzubessern. Beim Tod des Partners, der Eltern und Schwiegereltern sowie des eigenen Kindes haben viele Arbeitnehmer ein Anrecht auf ein bis drei Sonderurlaubstage. Doch freie Tage allein helfen nicht, wie Schroeter-Rupieper betont. „Wenn ein Arbeitnehmer nach einem Trauerfall wiederkommt, muss der Arbeitgeber wissen, dass derjenige eingeschränkt ist: vielleicht unkonzentriert, vielleicht mit körperlichen Beschwerden; jedenfalls nicht in der Lage zu Höchstleistungen.“ Trauer lasse sich leichter ertragen und auch überwinden, wenn Betroffene nicht zusätzlich unter Druck stünden.
Manche Arbeitgeber gewährten im Bedarfsfall zusätzliche freie Tage, hat Wirthmann beobachtet. Die Dinge veränderten sich in Zeiten von Patchworkfamilien und Ehen zwischen Homosexuellen. „Da sind individuellere Formen angezeigt“, rät er. Wenn ein Kollege stirbt, könnten zum Beispiel im Unternehmen ein Foto und eine Kerze aufgestellt werden, so Wirthmann. Auch wenn der Schmerz der Angehörigen groß sei: Wenn sie den Toten „in aller Stille“ beerdigen lassen wollten, nähmen sie den Kollegen die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. „In der Trauer merkt man oft erst, wie viele Menschen einen Toten verabschieden wollen.“
Umgekehrt helfe auch den Angehörigen ein Signal, dass die Kollegen des Toten an sie dächten, sagt Schroeter-Rupieper: „Wenn das Thema völlig ausgespart wird, kann es wie eine gläserne Wand zwischen den Menschen stehen.“ Dabei rühre ein Todesfall in jedem Menschen etwas an. „Auch, weil wir wissen: Das kann uns genauso passieren.“